Pin It

Turinsky1Kommunistische Regime zeigten und zeigen, zu welchen Gräueltaten missbrauchte Ideologien/Religionen Menschen zu ermächtigen scheinen. „Trotz alledem!“, wie Rosa Luxemburg formulierte, den Idealen dieser zutiefst menschenfreundlichen Vision einer Gesellschaft zu huldigen, gelingt dem Wiener Choreografen und Tänzer Michael Turinsky in dieser Erstaufführung auf überzeugende und berührende Weise.

In diesem spastisch gelähmten Körper wohnt ein äußerst wacher, brillanter Geist, der die Welt aus einer ihn und seines Gleichen großenteils ausschließenden Distanzierung vom Normalen, sprich Normativen, beobachtet. Die Wahrnehmung seiner ihm von dieser Welt zugewiesenen Position an deren Rand muss in Widerspruch, ja Widerstand führen. Schonungslose Analyse führt zu möglichen Lösungen für das Dilemma, in das die nicht den Normen entsprechenden Mitglieder eben dieser Gesellschaft von dieser gepresst werden.

Die blaue Latzhose und der seitlich im Schaft hängende Hammer, sein unbedeckter, kräftiger Oberkörper hat den Sexappeal jener mit der Lüsternheit der Oberschicht idealisierten „Der Gärtner war's!“, macht ihn zum Mitglied einer Kaste, die einstmals, als unterste Schicht einer äußerst inhomogenen Gesellschaft, zum Garant wurde für das Existieren und politische Überleben linker Strömungen und Parteien. Doch das hat sich gewandelt. Nicht nur, weil regierende Linke für ihr Klientel zynischer Weise die Verschlechterung von dessen Lebensbedingungen beschlossen, sondern vor allem, weil Flucht und Migration Menschen ins Land trieben, die die Laterne am unteren Ende der sozialen Schichtungen übernahmen.Turinsky2

Viel Spielraum für empfundene Bedrohungen und deren Anheizer, für daraus wachsenden Fremdenhass und Rassismus, für das Umschlagen von linken in rechte Gesinnungen und letztlich Gewalt. Das ist die Erde, in die Michael Turinsky sein neuestes Stück pflanzt. Und er gießt diesen Boden mit einem Gedicht von Pier Paolo Pasolini, veröffentlicht 1957 in seinem bedeutendsten Gedichtband „Le Ceneri di Gramsci“ („Die Asche Gramsci's“), das dieser dem 1937 verstorbenen kommunistischen Denker und marxistischen Philosophen und (wie der hier Performende) behinderten Antonio Gramsci widmete.

Die Ziele ähneln sich, die von damals und die heute. Den Feind, dem man die Ursachen für das eigene und nur in Teilen noch vorhandene Prekariat zuschreibt, findet man jetzt woanders. In einer Schicht noch unter sich. Maschinenstürmerei feiert fröhliche Urständ. Fröhlich sind die, die damit aus dem Blickfeld geraten und ihre Pfründe sichern mit den Stimmen der am Ende Betrogenen. 

Turinsky3Michael Turinsky arbeitet hart auf der Bühne. Er vervollständigt ein Podest mit am Rand deponierten Tischen, fährt diese durch die Reihen der am Boden Sitzenden. Spätestens mit dem Austeilen von Dosenbier, gelagert in einer polierten Schubkarre, macht er sich seine ZuschauerInnen gemein. Arbeitende jeglicher Couleur. So wie seine künstlerischen Kollaborateure und sein persönlicher Assistent, denen er, auf dem Podest sich gebend wie ein Rockstar, einzeln aufgezählt dankt. Schließlich auch dem Leben. Immer wieder Beifall. Damit verwischt er die Grenzen zwischen körperlicher und geistiger, zwischen sichtbarer und wenig oder nicht wahrgenommener Arbeit. Durch Wertschätzung.

Die englisch gesprochenen und gesungenen Texte von Michael Turinsky und Tian Rotteveel (wunderbare, bewegende Lyrik) werden als englische und deutsche Übertitel mitgeführt, um sie auch denen, die sie akustisch wegen der durch seine Behinderung stark gefärbten Aussprache weniger verstehen, voll zugänglich zu machen. Barrierefreiheit revers als Vorbild für eine Gesellschaft, in der diese immer noch erkämpft werden muss.

Ebenso wie jene Gleichheit von Menschen in unterschiedlichsten Tätigkeitsfeldern weltweit, beschrieben auf einer ausgerollten Proklamation der Gleichheit und Freiheit aller, und der Gleichheit von Menschen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Turinsky referenziert auf die von ihm in einer früheren Performance so genannte Crip Time, das reduzierte Lebens- und insbesondere Arbeitstempo, für das in der auf Effizienz und also Gewinnmaximierung fokussierten spätkapitalistischen Gesellschaft kein Platz ist. Exklusion aus Gier, akzeptiert wie ein Naturgesetz. Mit seiner hier körperlichen und gedanklichen Arbeit und seinem künstlerischen Schaffen allgemein zeigt sich Michael Turinsky jedoch als autonomes, handlungsfähiges Mitglied unserer Gemeinschaft.Turinsky4

Der in Berlin lebende Niederländer Tian Rotteveel, Komponist, Performer und Choreograf, steuert live den Sound. Mit Geräuschen der Arbeit, harmonischen, liedhaften Klängen zum Gesang Turinskys, der elektronischen Unterstützung seiner Stimme und drohendem Gewummer schafft er nicht nur Atmosphären, er prägt wesentlich die emotionale Wirkung des Stückes. Jenny Schleif schuf Bühne und Kostüm, Max Rux das gezielt eingesetzte, oft auch reduzierte Licht, Chris Standfest unterstützte dramaturgisch und Liv Schellander künstlerisch.

Michael Turinsky selbst ist ein Kunstwerk, Bild für vielgestaltige physische und psychische Barrieren für die Veräußerung von emotionalem und geistigem Reichtum. Seine in dieser Arbeit beschriebene Zerrissenheit zwischen seinem Stolz, etwas beizutragen, seinem Schaffensdrang und dem Genuss von Untätigkeit wurzelt in jener allgemein gefühlten, weil vom Kapitalismus propagierten Notwendigkeit einer (tatsächlich nicht erforderlichen) Begründung für das eigene Gut-Sein. 

Der metaphorische Gehalt nicht nur seines Körpers geben seiner Existenz und der Repräsentation dieser neben einem unschätzbaren menschlichen einen immensen künstlerischen Wert. Seine herausragenden rhetorischen Fähigkeiten und seine Gabe, neben seinem scharfen Verstand auch seine emotionale Klugheit von der Bühne strahlen zu lassen, machen dieses Stück, wie seine anderen auch, zu einem vieldimensionalen Erlebnis.

Der hier beispielhaft beschriebene Gruppen-Narzissmus (der in welcher Form auch immer Arbeitenden) dient immer auch der Exklusion Anderer und deren Diskreditierung, Diffamierung und Diskriminierung. Er schafft Ungleichheit aus individuellem psychologischem Sanierungsbedarf heraus. Und steht damit jeder Egalität und Fraternität gegenüber. Ursachen für das historische Scheitern jeder gleichmachenden Ideologie, für die Naivität jeder kommunistischen Romantik und für die finale Melancholie dieses Stückes.

Turinsky5Gebrochen, wie ein von seinem Sockel gestürztes Arbeiter-Denkmal liegt er am Boden, hält den Hammer vor seiner Körpermitte wie einen erotischen Fetisch, rollt sich dann langsam in Richtung Podest, das er vorher mit einem mühsam um es herum gekletteten Tuch zu einem Universum deklarierte. Den Hammer wie ein Relikt aus besseren Tagen und das Symbol eines ausgeträumten, aber doch noch nicht gestorbenen Traumes fest in seinen Händen haltend, geht er schließlich ein in jene Unendlichkeit aus Gedanken und Ideen, Ideologien und Utopien, Ent-Täuschungen und Misserfolgen.

Das Öffnen eines weißen Quaders aus Stein mit einem elektrischen Meißel wird zu einer finalen musikalisch-performativen Demonstration trotziger Hoffnung. Turinsky legt einen eingemauerten Blumenstrauß frei. Allen gemeinsam gelingt mit „Work Body“ eine kluge, emotional stark berührende konzertante Polit-Performance, die am Ende auch wegen ihrer Authentizität und Ehrlichkeit mit lang anhaltendem, warmem Applaus bedacht wurde. „Ich will eine Umgebung finden, die mich ehrt.“ Die hast du gefunden, Michael.

Michael Turinsky mit „Work Body“ am 25. Jänner 2025 im Tanzquartier Wien.

Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.