Es ist auch ein „Trotz alledem!“, das das Faso Danse Théâtre des belgisch-burkinischen Choreografen Serge Aimé Coulibaly gemeinsam mit dem Perkussionisten und Komponisten Yvan Talbot und der wunderbaren, ein breites Gefühlsspektrum präsentierenden ivorischen Sängerin Dobet Gnahoré mit „C la vie“ auf die Bühne zaubert. Der bewegten Geschichte des Landes Burkina Faso stemmen sie alle ihren unbändigen Lebensmut entgegen.
Serge Aimé Coulibaly war zuletzt (und erstmals) im Jänner 2023 in St. Pölten zu Gast. In „Wakatt“, ebenfalls mit live gespielter Musik, stellt er der Angst eine trotzige Zuversicht zur Seite. Die in dem Stück unbestimmte, doch universelle Bedrohung, die die neun TänzerInnen mit ihrem Mut und Lebenswillen konfrontieren, konkretisiert er in „C la vie“ (im Festspielhaus St. Pölten als Österreich-Premiere gezeigt).
Dass unter den schwarzen auch zwei weiße Ensemble-Mitglieder performen, kann neben ihrer tänzerischen Qualität, die sie für die Kompanie attraktiv macht, und der so simplen wie beispielhaften integrativen Attitüde Coulibalys, auch auf die historische Rolle der Weißen für dieses Land verweisen. Burkina Faso erlebt eine bis ins Heute reichende sehr wechsel- und gewaltvolle Geschichte. Erst 1960 aus der französischen Kolonialherrschaft entlassen, prägen das westafrikanische Binnen-Land seit dem politische Instabilität, Staatsstreiche und Militärputsche, zuletzt 2015 und 2022.
Der dekorative silbrige, plissierte Vorhang hinter der Bühne wird zur Video-Leinwand, auf der Szenen von Demonstrationen, Konflikten und Gewalt, von den zerstörerischen Folgen des Klimawandels und von Konsens und Einigung diese Arbeit in einen recht konkreten politischen, historischen und gesellschaftlichen Kontext einordnen. Die Bilder sind unscharf oft. Wie die diffusen Gefühle, die von Ausschnitten einer Wirklichkeit, die den Einzelnen erreichen, ausgelöst werden. Die Menschen, sieben TänzerInnen und Dobet Gnahoré, auch sie tanzt, performt und trommelt neben ihrem Gesang, versuchen sich dieser emotionalen Herausforderung zu stellen.
Der Trommler hat seinen Arbeitsplatz links hinten. Yvan Talbot bedient nicht nur live Schlagzeug und vier große Dschemben, er komponierte auch die elektronische Musik, deren Einspielung er durchsetzt und durchbricht mit seinen komplexen, hoch energetischen Rhythmen. Der Sängerin und dem Tanz liefert er damit einen einzigartigen, atmosphärischen, mit der Stimmung und dem Energieniveau des Bühnengeschehens kollaborierenden akustischen Co-Performer. Allein die Live-Musik ist ein mitreißender Genuss.
Die Bühne von Eve Martin, sie gestaltete auch die Individualität betonenden Kostüme, leuchtet meist in energiereichem Orange-Rot. Sie scheinen auf einer glühenden Fläche zu tanzen, wie in einer Caldera, deren flüssiges Magma ein ruhiger See ist. Momentan. Die Lage ist explosiv, der Druck auf den Einzelnen und die Gemeinschaft immens. Die Mechanismen, die sie entwickeln, um damit umgehen zu können, sind vielgestaltig.
Coulibaly untersucht viele Aspekte und erzeugt haufenweise Kollisionen. Die Frau mit einer riesigen traditionellen Maske, die anfangs die Bühne betritt, begegnet der Moderne. Später: Ein vollständig kopf-maskierter Identitäts-Baumeister unter unverhüllt Ehrlichen, Vereinzelung und Integration, Individualität und Gemeinschaft, ein Mit- und Gegeneinander in dieser, beklemmende Enge und Freiheit, Initiations- und Gewalt-Rituale, kollektive Sufi-Trance und bewusste Eigenständigkeit, Verlust, Trauer und Zuversicht, Maschinen-Menschen und zugelassene Emotionen.
Als die Sängerin sich ganz vorn am Bühnenrand aufstellt und erst ins Publikum redet, es dann immer wütender anschreit und beschimpft (in einer afrikanischen Sprache, aber worüber sie sprich, vermeint man zu verstehen), wird klar, dass es hier um mehr geht als einen entspannten Blick in einen Schaukasten, in dem Burkinisch-Exotisches zu unserer Erbauung aufgeführt wird. Sie sind nicht bereit, uns Europäer aus der Verantwortung für Afrika zu entlassen.
In ihrem Tanz verbindet die Kompanie, alle sind herausragende TänzerInnen, afrikanische und zeitgenössische Einflüsse. Die Erdung, wesentliches Merkmal des afrikanischen, begegnet dem Spiel mit der Schwerkraft des zeitgenössischen Tanzes. Die in einer Phase ein chaotisches Bild vermittelnde Choreografie entpuppt sich als räumlich perfekt abgestimmt, mit äußerst präzisem Timing. Genial. Ein wunderbares Bild für das oft im Verborgenen liegende, alles Verbindende.
Sie reagieren sensibel auf- und miteinander, spüren sich physisch und energetisch, sie überlassen sich der Macht ihrer Impulse, führen den Tanz aber immer wieder in ein Zusammenfinden. Final löst der Choreograf die vielen Widersprüche auf mit dem Finden von Gemeinsamkeiten und dem Etablieren von Gemeinschaft. Und die das Gute wollende Kraft, die aus allem strahlt, ist faszinierend.
Am Ende werden sie deutlich. Laute Vorwürfe in Richtung Publikum. Sie bewegen ihre Unterleiber, als fickten sie uns. Sie lassen ihre Hosen herunter, hocken sich hin, als würden sie drauf scheißen. Und sie boxen ihre Fäuste in die andere Hand. Sie drohen offen. Wartet nur ab, ihr Weißen da in Europa, ihr werdet euch wundern! Aus ferngesteuerten Marionetten werden selbstermächtigte, selbstbewusst schreitende Menschen. Sie reihen sich auf hinter dem halbtransparenten, einst so dekorativen, jetzt an geknicktem Gestänge hängenden Vorhang. Denn ihre Sammlung bleibt uns noch verborgen.
Dieses hoch politische Stück tourt seit zwei Jahren um den Globus. Es ist wie ein Vorbild für die vielen durch Spaltung, Hass, Gier, Egoismus und Ekpathie entstandenen Krisen. Nur die Überwindung der Trennung und Polarisierung kann zu Frieden, nur die Kooperation zur Lösung der vielen globalen Probleme führen. Serge Aimé Coulibaly zeichnet, jenseits aller Naivität, ein hoffnungsvolles Bild der Menschheit, die, sich selbst überwindend, zu einem starken, handlungsfähigen Bündnis zusammenfinden kann. Weltweit.
Den Beifall des begeisterten Publikums nahm die Kompanie tanzend entgegen. Afrikanischer, wunderschöner Gesang und die zurückhaltenden, dennoch authentischen Moves der (erschöpften) TänzerInnen vermittelten das, was alle Krisen überlebt und überwindet: Mutige, tolerante, respektvolle, solidarische Gemeinschaft und der Wille zu leben.
Serge Aimé Coulibaly / Faso Danse Théâtre mit „C la vie“ am 15.02.2025 im Festspielhaus St. Pölten.