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omer1Bühnenpräsenz, die schon für sich allein eine knappe Stunde lang so nachhaltig packt, als wären es mehrere gewesen: Eine solche vermitteln das geniale Duo Loulou Omer und Alan Picol in ihrem multidisziplinären Projekt, das Tanz, Musik, Text und Gesang in einer selten so eng zu erlebenden Verzahnung kommunizieren lässt.

Loulou Omer (Choreografie, Text, Musik), geboren in Israel und seit 2016 (wiederum) in Wien ansässig, ist eine international tätige und für ihre tänzerische Arbeit wie für ihre Literatur ausgezeichnete Künstlerin. Zunehmend lenkt sie nun den Fokus auf Transdisziplinäres. Alan Picol ist ebenfalls international tätig und ausgezeichneter französischer Bass-Bariton, dessen besonderes Interesse dem Theater und seinen Möglichkeiten gilt. omer2

„Worüber wollte ich sprechen“ lautet eine nicht zufällig am Anfang des Stückes und mehrfach gestellte Frage. Denn ohne Ende sei glücklicherweise die Suche nach Wesentlichem, nach der (kritisch hinterfragten und zu hinterfragenden) Wahrheit in der Komplexität dessen, worüber wir als Erinnerung, als Wissen um Gegenwärtiges, Vergangenes und an Vermutungen über Zukünftiges verfügen. Mit herkömmlicher Biografie hat die Performance wenig gemein; vielmehr sind es emotional-kognitive Gedankenflächen, die sich in szenischer Vielfalt, ja Gegensätzlichkeit voller stilistischer und inhaltlicher Überraschungen entfalten. Sie werden poetisch verbildlicht und einprägsam verkörpert in einer Bewegungssprache, die deutlich oder auch nur angedeutet zwischen Zeiten und ihren Ausdrucksformen wie zwischen Kulturen wechselt. Ausnahmslos tun sie dies in einer den beiden Künstler*innen ureigenen Interpretation, in einem einprägsamen Bewegungsvokabular, dem ein roter Faden eingewoben ist.

omer3Neben fokussierenden acapella Passagen und solchen in Stille ist die von beiden interpretierte Live-Musik gleichberechtigter und kongenialer Erzähler von dem, was ihre fiktive individuelle Welt beispielhaft ausmacht so wie von der, die uns alle umgibt und betrifft. Sie bewirken die sich verstärkende Betroffenheit ihres Publikums gerade in der scheinbaren „Un-Ordnung“ ihrer Erzählungen, in den Überlappungen und Widersprüchen ihres Tuns und der zu Gehör gebrachten Texte, im Sprunghaften, im Leisen und Feinen wie kontrastierend Expressiven, Ironischen und auch vereinzelt Plakativen; also im Verunsichern durch Konfrontation mit Unbekanntem. Ist doch all diese konzentrierte Bewegungs-Fülle Abbild dessen, was auf uns tagtäglich einstürmt – ungeordnet und oft genug allen Erwartungshaltungen widersprechend. omer4

Ihre ungewöhnliche performative Ästhetik lässt bei den angesprochenen Themen, die zwischen Selbstwahrnehmung und Rollenklischees, zwischenmenschlichen Beziehungsformen, aber auch zeitpolitischen Themen mehr aufhorchen, als dies bei tradierten Herangehensweisen und Darbietungsformen der Fall ist. Eingebettet in eine Poesie für alle Sinne ist der Rezipient bereit, sich den Spiegel vorhalten zu lassen, vielleicht sogar, ein wenig selbst in eine etwas andere Art der Bewegung zu kommen. Die intendierten weiteren Kapitel lassen hoffentlich nicht lange auf sich warten. 

Loulou Omer & Alan Picol: „Curriculum Vitae – 1. Kapitel” am 21. Februar 2025 im Theater am Lend, Graz.