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MAD leopoldernstgasse1200HSVor Kurzem hat MAD – Mixed Abled Dance Coproductions den Outstanding Artist Award 2020 erhalten (tanz.at berichtete). Doch wer steht hinter diesem Role-Model für Disability Arts, das Kunst und Behinderung mittels Tanz in ein neues Licht rückt? Ich traf die künstlerischen Leiterinnen Elisabeth Löffler und Vera Rosner sowie dem Performer Frans Poelstra auf Zoom.

MAD wurde von den Rollstuhl-Tänzerinnen Elisabeth Löffler, Vera Rosner, Cornelia Scheuer sowie von Guido Reimitz gegründet, um PerformerInnen mit Behinderung bei ihrer künstlerischen Arbeit zu unterstützen. 2013 begannen die Vorarbeiten, meistens im Haus von Elisabeth Löffler, die eine kleine Tochter zu betreuen hatte. „Ich habe es sehr geschätzt, dass alle darauf eingestiegen sind und wir die Besprechungen damals bei mir machen konnten. Ich hätte sonst nicht teilnehmen können“.EL JattleBam4 OG

Allerdings ohne sie wäre es wohl auch nicht gegangen, ist die profilierte Performerin doch eine Schlüsselfigur in der österreichischen Performance-Szene. Beständig hat Elisabeth über Jahre hinweg Vorurteile beiseite geschoben und ist ihren Weg gegangen. Parierte etwa Elfriede Ott ihren Wunsch Schauspielerin zu werden, mit dem Rat: „Sie könnten ja Hörspiel machen, da sieht man sie wenigstens nicht“, so setzte Daniel Aschwanden, ein Vorreiter in der hiesigen inklusiven Performancearbeit, sie nicht nur in seinen Stücken ein, sondern begleitete sie auch zu Workshops ins In- und Ausland.

MAD leopoldernstgasse168HSEine Methode, die sich besonders gut für die Arbeit mit RollstuhltänzerInnen eignet, ist die Contact Improvisation. Daher sind Tänzer wie Steve Paxton, Emery Blackwell, Jonathan Burrows und Andrew Harwood Vorbilder für Vera Rosner und Elisabeth Löffler. Wobei Harwood anfangs gar nicht begeistert über ihre Teilnahme war. Jedesmal musste sie verhandeln, dass sie bleiben konnte. „Erst nach drei Workshops hat er es dann voll akzeptiert, dass ich mitmache“, erzählt Elisabeth.

Aus der jungen Frau mit Schauspiel-Ambitionen ist mittlerweile eine selbstbewusste und selbstbestimmte Performerin geworden. Über viele Jahre hat sie in Stücken von Josi Wananu (toxic dreams) gespieltt (tanz.at berichtete unter anderem von The Audition). Auch bei ihrem letzten Solo „FixMeIfUCan“, hat Wananu, ebenso wie Frans Poelstra, hinter den Kulissen mitgewirkt. Doch die hinreißende Sit Down Comedy „FixMeIfUCan“ ist eine Löffler-Eigenmarke im wahren Wortsinn, die sie nicht nur performt, sondern für die sie auch den Text selbst geschrieben hat. VR JattleBam3 OG

Auch Vera Rosner begann ihre Tanzerfahrung mit Contact Improvisation, und entdeckte dabei die Lust zu tanzen. „Es war für mich eine neue Entdeckung, mich mit dem Körper ausdrücken zu können, wo ich davor immer alles mit dem Kopf artikuliert habe“, sagt sie. Nach und nach wurde daraus ihr Beruf. Sie studierte mit Alito Alessi, war 2011 maßgeblich an der Gründung von DanceAbility Europe und der österreichischen „Dependance“ (www.danceability.at) beteiligt. Vera unterrichtet regelmäßig offene Stunden und eine fortgeschrittene Trainingsgruppe, deren Mitglieder auch bei ihren Improvisations-Performances „Jattle, BAM & Poetry“ (siehe Kritik auf tanz.at) auftreten. Außerdem leitet sie DanceAbility-Workshops im In- und Ausland, etwa bei Impulstanz.

Als Performerin war sie unter anderem in Jerome Bels „Gala“ oder in den Doris Uhlich-Stücken „Every Body Electric“ mit einem exklusiven Cast von TänzerInnen mit Behinderungen sowie in „Habitat“ zu erleben.

InvalidenstrasseDreimal, 2011, 2012 und 2014, wurde auf Initiative von Vera Rosner die Invalidenstraße betanzt, und 2016 eine Präsentation in einer Galerie realisiert. „Leider konnten wir sie – noch nicht – umbenennen“, sagt sie. Die Wiener Initiative wurde aufgrund anderer Verpflichtungen auf Eis gelegt. Doch auf ihren Reisen im Rahmen von MAD, von DanceAbility und auf Tournee mit Doris Uhlich (bis nach Brasilien), traf sie Gleichgesinnte: „Wir hatten begonnen, mit anderen Städten, die Invalidenstraßen oder -plätze haben, Kontakte aufzunehmen um gleichzeitige Tanzinterventionen zu veranstalten und zu verknüpfen.“

Kunst und / oder Aktivismus?

Trotz dieser oder ähnlicher Aktionen, verstehen sich Elisabeth Löffler und Vera Rosner keineswegs als politische Aktivistinnen. „Der erste Schritt ist nicht politisch“, sagt Elisabeth, die sich für verschiedene Initiativen wie für die Friedensbewegung sowie für die Selbstbestimmt Leben Bewegung bei BIZEPS politisch engagiert hat. Doch auf der Bühne will sie als Künstlerin wahrgenommen werden, denn: „Wir haben keinen politischen Auftrag, machen keine politischen Stücke, aber sind politische Menschen.“JattleBam1 OG

Vera ergänzt, dass es automatisch ein gesellschaftspolitischer Akt ist, „wenn man mit einem Körper wie meinem auf die Bühne geht“.

JattleBam2 OGIm 20. Jahrhundert hat sich der Tanz emanzipiert, indem er das Stigma des perfekten Körpers zumindest in Frage gestellt, wenn nicht überwunden hat. Heute steht die Tanzerfahrung allen offen. Das ist noch nicht bei allen angekommen. In ihrer Bühnenerfahrung haben Elisabeth und Vera eine Menge respektloser, abwertender, ja widerlicher Reaktionen aushalten müssen, die hier keine weitere „Bühne“ bekommen sollen. Die beiden Power-Frauen ließen sich davon nicht entmutigen, sondern sind daran gewachsen.

Die Anerkennung von Kunst von und mit behinderten KünstlerInnen, die als Disability Arts in der internationalen Performance-Szene ebenso wie in Academia vielfältig verhandelt wird, gewinnt langsam auch in Österreich an Bedeutung. Disbility Arts spielt "das Problem Behinderung" an die Gesellschaft zurück, in dem es die Perspektive zurecht rückt. Die Prämisse lautet, „dass der Körper eher behindert wird, als behindert ist“, sagt Elisabeth.DOOL MeetingBudapest009MAD

Disability Arts ist keine wohlmeinende Beschäftigung oder Therapie sondern eine Kunstrichtung. So wie die Künstler in Gugging in der bildenden Kunst eine eigene Handschrift entwickelt haben, so entwickeln Künstlerinnen wie Elisabeth Löffler, Vera Rosner, Michael Turinsky oder Cornelia Scheuer den Tanz weiter, als eine Kunstform, die nicht mehr ausschließlich den „schönen“ Körpern gehört, sondern die Gesellschaft von heute abbildet und unterschiedliche Körper und Ausdrucksmöglichkeiten nebeneinander zulässt. Und sie leisten damit in Österreich Pionierarbeit.

DOOL MeetingBudapest019MADÖsterreich hat Aufholbedarf

Wie unterschiedlich der Umgang mit behinderten Menschen in Europa ist, haben die Mitglieder von MAD in dem Erasmus+ Projekt DOOL erlebt. Die Partnerschaft brachte Organisationen aus Italien und Finnland, Länder in denen Behinderte rechtlich mit der Mehrheitsgesellschaft weitgehend gleichgestellt sind, mit Initiativen aus Österreich, Slowenien und Ungarn zusammen, die in Sachen Inklusion vergleichsweise hinterherhinken.

„Das Ziel ist“, sagt Vera Rosner, „dass wir nicht mehr von Inklusion sprechen müssen, sondern dass der Umgang mit behinderten Menschen einfach natürlich ist.“ Um das zu erreichen, ist es am Besten, dass Kinder den Umgang mit behinderten Menschen lernen. Das ist nicht selbstverständlich, denn auch im Lehrberuf sind Menschen mit Behinderung die seltene Ausnahme.

MAD in SchulenMAD Plankenmaisstrasse019OG

Daher ist die Arbeit in den Schulen eine Kernaufgabe von MAD und läuft unter dem Titel MellowYellow. Das erste Projekt in einer Schule lief über ein Jahr und endete mit einigen Vorstellungen im brut.

Mittlerweile werden eintägige und mehrtägige Workshop-Formate angeboten, die jeweils von einem Team geleitet werden. Seit 2016 haben etwa180 Schulprojekte stattgefunden, an die 30 KünstlerInnen mit und ohne Behinderung haben daran teilgenommen.

MAD kandlgasseMAD1Bei einem MellowYellow-Workshop ist Respekt das Schlüsselwort. Dabei beginnt es für die Kinder zuerst einmal mit einer Überraschung, wenn eine der TänzerInnen im Team im Rollstuhl kommt –  das heißt, vorausgesetzt, es geht nach Plan und die Lehrerinnen halten dicht. „Ob sie die Kinder vorab informieren, können wir natürlich nicht wissen“, sagt Vera.

Und es funktioniert: Berührungsängste werden hier schnell überwunden. Bald ist das Befremden dem Interesse an den LeiterInnen und der Lust am Tanzen gewichen. Dass diese Begegnungen Perspektiven verschieben, Vorurteile abbauen, ja Ansichten verändern, sowohl bei Kindern als auch bei LehrerInnen, scheint auf der Hand zu liegen. Elisabeth, Vera und Frans haben dazu jede Menge Geschichten auf Lager und bekommen auch in den Resonanztreffen nach jedem Workshop und bei den – ebenfalls sehr wichtigen – gemeinsamen Mittagessen entsprechendes Feedback.MAD Zehdengasse24OG

Doch über die anekdotische Evidenz hinaus gibt es mittlerweile auch akademische Daten. In einer Wirkungsmessung des Instituts für partizipativen Sozialforschung gaben 88 Prozent der Lehrkräfte an, dass sie MellowYellow bereits anderen Lehrpersonen weiterempfohlen haben.

MAD kandlgasseMAD2In diesem Zusammenhang findet Frans Poelstra, der mittlerweile seine Unterrichtstätigkeit exklusiv auf dieses Projekt konzentriert: „Wir brauchen dringend Nachwuchs, angesichts der Erfolge, die diese Arbeit bringt.“

Und genau das ist eine weitere Zielsetzung von MAD, nämlich behinderte Menschen eine Tanzausbildung zu ermöglichen. Ein Anfang ist gemacht mit der Aufnahme von Adil Embaby, einem Tänzer ohne Beine, in die Ausbildung für Tanzpädagogik an der Musik- und Kunst Privatuniversität Wien.

Stillstand, vorübergehendMAD Poelstra

Insgesamt war MAD so richtig am Durchstarten, als im letzten Jahr „alles auf Halt“ gestellt wurde, erzählt Vera Rosner. Die Nachfrage nach den Workshops im Rahmen von „MellowYellow“ wuchs beständig und das Erasmus+ EU-Projekt DOOL war mitten in der Umsetzung, Toruneen standen im Terminkalender. Die Pandemie hat all dem vibrierenden Tun ein Ende gesetzt.

Für Vera und Elisabeth bietet der virtuelle Raum keine Alternative. „Bei unserer Arbeit ist die Berührung ganz wichtig, auch mit den Kindern, das kann man nicht ins Netz übersetzen“, sagt Vera. Elisabeth verteidigt sich sogar „trotzig. Denn endlich habe ich Kontakt gefunden und nun soll ich das aufgeben und etwas online machen? Nein.“

Dennoch sind alle drei auch im Netz präsent:

Vera Rosner hält ein Referat beim tamed online Kongress (13. bis 18. März 2021) über „Ergebnisoffene Prozesse – wie Umwege die Ortskenntnis erweitern“.

Das Solo „FixMeIfUCan“ von Elisabeth Löffler ist auf www.elisabethloeffler.com zu sehen.

Die jüngste Performance von Frans Poelstra „This Body of Stories. The Lockdown Version“ wurde von brut ko-produziert und ist von der Homepage www.brut-wien.at abrufbar

www.mad-dance.eu

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