Die Filmemacherin Bess Kargman erzählt die Lebens- und Tanzgeschichte von sechs jungen Stars von Morgen. Schon als Kinder haben sie sich dem Ballett verschrieben und fiebern jenen fünf Minuten entgegen, die sie beim „Youth America Grand Prix“ vor einer gestrengen Jury auf der Bühne stehen dürfen. In diesem wichtigen Wettbewerb wird mit Stipendien und Verträgen über ihr weiteres Leben entschieden.
Manche werden von den Eltern zu den ersten Tanzschritten geführt, andere waren als Winzlinge in einer Ballettaufführung oder haben einen Tanzfilm gesehen und gewusst: Das will ich auch. Und sie beginnen ein Leben für den Tanz und mit dem Tanz, dehnen ihre Körper bis sie es nicht mehr aushalten, trainieren im Ballettsaal und zu Hause, pflegen ihre wunden Füße und fahren mit den Eltern täglich zwei Stunden, um die besten Lehrer zu finden. Manchmal wechseln die Eltern auch Den Wohnort, um ihren Kindern die Ausbildung zu ermöglichen.
Man kennt das. Ds Klischee stimmt und doch wieder gar nicht.
Doch Bess Kargman, die selbst bis zu ihrem 14. Lebensjahr getanzt hat, zeigt in ihrer Filmdokumentation keine Marionetten an den Fäden der Eltern oder Lehrer, keine Prinzessinnen im rosa Tütü, sondern lebendige Kinder und Jugendliche, die ein Ziel haben, das nicht immer leicht zu erreichen ist. Sie sind von unterschiedlicher Nationalität und Hautfarbe, stammen aus verschiedenen sozialen Schichten und haben doch alle nur einen Gedanken: eine große Ballerina, ein anerkannter Tänzer zu werden. Ein Jahr lang hat Kargman diese zukünftigen Ballerinen und Ballerinos begleitet und sechs von ihnen besonders hervorgehoben, weil ihre Geschichte ans Herz des Kinopublikums rührt.
Liebevoll begleitet die Regisseurin Aran und Miko, Joan Sebastian und Rebecca, die schon ein Engagement erhalten und mit 18 Jahren, trotz aller Erfolge auf die Profilaufbahn verzichtet. Die Kamera ist immer dabei, vom ersten Auswahlwettbewerb für den Großen Preis bis zum letzten Auftritt, wenn es die jungen Kandidatinnen unter 5000 KonkurrentInnen in die Endrunde geschafft haben. Der erste Schritt zur Erfüllung eines Traums ist damit getan.
Dabei ist Miko, die nicht in die Schule geht sondern zu Hause unterrichtet wird, damit sie mehr Zeit zum Training hat. Mit 12 gewann sie ihre erste Goldmedaille, in der Endausscheidung des „YAGP“ eroberte sie mit 13 in ihrer Gruppe die Bronzemedaille. Ihr jüngerer Bruder, Jules, spürt diese Sehnsucht, immer nur zu tanzen, nicht. Er trainierte brav, gewann zwar mit neun den ersten Platz im regionalen Wettbewerb bei „YAGP“ und sogar die Bronzemedaille bei den Endausscheidungen in New York, doch als er im nächsten Jahr wieder antritt und nichts gewinnt, wirft er die Ballettschuhe in eine Ecke und beschließt, wie sein Vater Unternehmer zu werden. Mom kann die Tränen nicht verbergen.
Voll Feuer ist die aus Sierra Leone stammende Michaela DePrince. Im Alter von vier Jahren wurde sie von einer amerikanischen Familie aus New Jersey adoptiert. Weil Ballettunterricht teuer ist, näht die Adoptivmutter alle Tanzkleider für Michaela und ihre Schwester selbst. Meistens in der Nacht. Michaela dankt die Mühe und den Einsatz ihrer Eltern mit herausragenden Leistungen und einem Stipendium der Kennedy Onassis School of the American Ballet Theatre, das sie beim „YAGP“ gewinnt. Tapfer ist sie trotz höllischer Schmerzen mit einer verletzten Achillessehne angetreten. Prompt knickt sie ein und plumpst im ersten Durchgang zu Boden. Doch Michaela ist vom Tanz besessen, lässt sich nicht entmutigen und begeistert mit ihrem zweiten Auftritt Publikum und Jury. Der Weg zur Spitze ist frei.
Nach 90 Minuten liebe ich alle diese Kinder und Jugendlichen, den kleinen Aran Bell der sich in eine aus Israel stammende Mitbewerberin verliebt, obwohl er kein Wort mit ihr sprechen kann. Beide werden in der Endrunde prämiert, als Miniliebespaar posieren sie den Eltern für das Foto des Tages. Oder Joan Sebastian Zamora aus Kolumbien, der trotz Heimweh und den Opfern, die seine keineswegs wohlhabende Familie für seine Studien bringt, an seinem Traum festhält, einmal im Royal Ballet in London zu tanzen. Er träumt nicht vergeblich, beim „YAGP“ gewinnt er ein Stipendium genau für London.
Bess Kargman fährt mit Joan Sebastian nach Hause und besucht die Eltern, filmt in Trainingshallen und Kinderzimmern und schaut hinter die Kulissen des Wettbewerbs mit seinen zahlreichen Vorentscheidungen und bringt uns das Fieber nahe, das die Kinder beflügelt und auch manche Mutter ergriffen hat. Sie verzichtet auf kunstvolle Kamerafahrten und psychologisierende Kommentare, hat einen im Grunde einfachen Film gedreht, doch sie versteht es, Geschichten zu erzählen und verzichtet auf Pathos und Zuckerguss. Diese schlichte Methode hat ihr bereits mehrere Preise bei Doc.Film-Festivals beschert. Mit Neugier und Liebe lebt sie mit den jungen Ballettbegeisterten mit und richtet den Focus ganz auf die Kinder, die einmal Stars sein wollen. Wenn sie endlich in der Endrunde sind, fiebern wir mit ihnen und drücken die Daumen. Sie haben so hart gearbeitet, ihr Traum soll in Erfüllung gehen.
First Position – Ballett ist ihr Leben, ein Film von Bess Kargman, ab 4. Oktober im Votivkino und anderen.