In den zwölf angesetzten Schwanensee-Vorstellungen gab es durch interessante Besetzungsvarianten mehrfach Gelegenheit unterschiedliche Nuancen in der Rolleninterpretation zu erleben. Zuletzt gaben Robert Gabdullin, Masayu Kimoto und Leonardo Basilo ihre Debuts als Prinz Siegfried.
Aus der Riege des Wiener Staatsballetts kam mit Robert Gabdullin eine noble prinzliche Erscheinung zum Einsatz. Der Erste Solotänzer bestach bei seinem Debut als Prinz Siegfried durch stilsichere Eleganz, saubere Technik und vor allem innige Gefühlstiefe. Mit Maria Yakovleva harmonierte er in wunderbarer Weise. Hier spürte man den seelischen Gleichklang im weißen Akt, wenn sie als Schwanenprinzessin Odette ihre traurige Geschichte der Verzauberung erzählt und er ihr seine Liebe schwört. Im schwarzen Schwan-Pas de deux hingegen sprühte die knisternde Spannung zwischen den beiden, geschürt vom bösen Zauberer Rotbart (Andrej Teterin), der hier sein raffiniertes Spiel trieb, das den Prinzen letztlich in sein Verderben reißt und ihn den Tod in den Fluten des Sees finden lässt.
Trotz der noble Kühle der in Blauschattierungen gehaltenen Ausstattung von Luisa Spinatelli war hier viel warme Atmosphäre zwischen den beiden hervorragenden Protagonisten zu spüren. Maria Yakovleva besticht in der Doppelrolle; ihre Interpretation der unterschiedlichen Charakterfacetten der fragilen Odette und der fulminanten Odile gelingt wunderbar und glaubhaft.
In der letzten Vorstellung der Serie bekam sie mit Masayu Kimoto einen weiteren intensiv agierenden Partner. Der Solotänzer erwies sich bei seinem ersten Auftritt als Prinz Siegfried als eleganter Tänzer mit feiner Linie, schönem Stil sowie großer Ausdrucksstärke. Auch hier überzeugten die beiden durch Technik, Gefühl und Ausdruck im harmonischen Miteinander. Diesmal sorgte Alexandru Tcacenco als dämonischer Rotbart dafür, dass der Prinz seinem Schicksal nicht entrinnen konnte und er im stürmisch wogenden See stirbt.
Ballettchef Manuel Legris gibt immer wieder jungen Tänzern die Chance, sich in großen Rollen zu profilieren. Halbsolist Leonardo Basilo konnte diese Chance bei seinem Debut als Prinz Siegfried leider nicht nützen. Zu groß der Druck oder die in ihn gesetzten Erwartungen? Neben der Technikerin Liudmila Konovalova gelang es ihm (noch) nicht zu überzeugen. Während sie ihren Part wie stets mit kühler Präzision auf die Bühne brachte, war der junge Tänzer noch sehr mit den Schrittfolgen und dem Partnering beschäftigt; eine Rollengestaltung muss sich hier erst noch entwickeln. Präsenz zeigte hier hingegen der debütierende Alexandru Tcacenco als Rotbart.
In den verschiedenen Zusammensetzungen im Pas de cinq gefielen Ioanna Avraam und Nikisha Fogo außerordentlich (8. und 12. Juni); Richard Szabo und Dumitru Taran waren ihnen hier ebenbürtige Partner (12. Juni), während am 25. Mai Alice Firenze, Fogo sowie Richard Szabó und Masayu Kimoto sehr gute Figur machten. Das Corps de ballet der Schwanenmädchen und die Tänzer der mitreißenden Auftritte als spanische, neapolitanische, polnische und ungarische Festgäste taten ein Übriges, die Aufführungen sehenswert zu machen.
Während Dirigent Paul Connelly eher die kräftigen Töne forcierte (25. Mai) setzte Alexander Ingram auf sensiblere differenzierte Taktführung in den beiden anderen Vorstellungen.
Fazit: Die legendäre anspruchsvolle Choreografie von Rudolf Nurejew hat seit der Uraufführung 1964 auch heutzutage nichts von ihrer Faszination verloren. Der Ballettklassiker ist immer noch beim Publikum sehr beliebt, wie die ausverkauften heftig akklamierten Ballettabende bewiesen. Die letzte Vorstellung der Serie wurde im Rahmen von „Wiener Staatsoper live at home“ sogar weltweit live in HD übertragen.
„Schwanensee“ mit Robert Gabdullin am 25. Mai, mit Leonardo Basilio am 8.Juni und Masayu Kimoto am 12.Juni 2017 an der Wiener Staatsoper
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Ein Schwanensee mit Wasserschaden
Olga Smirnova, Semyon Chudin in „Schwanensee“