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peergynt gruenefrauEs gibt nur wenige Choreografen, die heutzutage noch eine Geschichte erzählen können ohne sich in dekonstruierende Kommentare zu verlieren. Edward Clug, Ballettchef am Slowenischen Nationaltheaters in Maribor, ist sicher einer von ihnen. Sein „Peer Gynt“ überzeugt durch die visuelle und musikalische Inszenierung ebenos wie durch die großartige Darstellung des Wiener Staatsballetts mit Jakob Feyferlik in der Titelrolle.

Edward Clug ist ein Mann des Theaters. Während seiner Zeit am Slowenischen Nationaltheater arbeitete der Tänzer nicht nur bei den Avantgarde-Produktionen von Direktor Tomaž Pandur mit, sondern erhielt von diesem 1996 auch seinen ersten Choreografie-Auftrag. (Übrigens: Einen seiner ersten Tänzerjobs hatte er bei Liz Kings "Heidelberger Ballettheater".) Unter seiner Leitung hat sich das Ballett des Slowenischen Nationaltheaters in Marburg zu einer international beachteten Compagnie entwickelt. So sah auch der Wiener Ballettchef Manuel Legris das 2015 kreierte Werk „Peer Gynt" erstmals in St. Petersburg und sprach daraufhin seine Einladung nach Wien aus.peergynt ingrid

Sowohl Henrik Ibsens dramatisches Gedicht als auch Edvard Griegs Musik waren Grundlagen für das Ballett. Doch evoziert Clug in der Geschichte des verwerflichen Bauernsohnes vor allem die volkstümlichen Märchen, die den norwegischen Dichter inspiriert haben. Die psychologische oder gar moralische Ebene des Textes wird hier weitgehend ausgespart.

peergynt todMit diesem „Peer Gynt“ ist eine visuell bestechende Umsetzung des Themas gelungen. Mit wenigen Versatzstücken erschafft Bühnenbildner Marko Japelj Gynts Heimat als eine begrenzte Welt, in der der (Anti-)Held seine verhängnisvollen Aktionen setzt. HIer entführt er Ingrid (Ioanna Avraam) aus den Armen ihres Bräutigams, entgeht nur knapp dem Beil des Schmiedes Aslak (Vladimir Shishov), begattet die Trollfrau in Grün (in ihrem speziell fantasievollen Kostüm besonders expressiv: Rebecca Horner), beginnt eine Liebesaffäre mit Solveig (Alice Firenze) und flunkert seiner Mutter Åse (resolut: Franziska Wallner-Hollinek) noch am Totenbett Fantasiegeschichten ins Ohr. Auf den Reisen (in einem Spielzeugflugzeug), die Gynt nach der Flucht aus seiner Heimat um die Welt führen, konzentriert sich Clug auf zwei Stationen: Marokko, wo ihn Anitra, die Tochter des Beduinenkönigs (Nikisha Fogo) seines Hab und Guts beraubt und die Irrenanstalt von Dr. Begriffenfeldt (András Lukács). In der Parabel um Leben und Tod tauchen der Hirsch aus Peer Gynts Tagträumen (Zsolt Török) sowie die Figur des Todes – von Andrey Kaydanovskiy in süffisanter Manier gestaltet – als ständige Begleiter immer wieder auf. Zur optisch rundum gelungenen Ausstattung tragen die Kostüme von Leo Kulaš bei, wobei die drei Trolldamen, die durch einen bodenlangen Zopf miteinander verbunden sind, besonderes Aufsehen erregen.peergynt begriffenfeldt

Choreografisch bleibt das Ballett hingegen relativ dünn. Das reduzierte Schrittmaterial ist in den Gruppenszenen sehr gezielt und gut eingesetzt, und produziert auch den einen oder anderen witzigen Effekt (etwa das Spiel mit den Perserteppichen in Marokko). Sehr packend gelingt die Kampfszene, in der Aslik versucht, Peer Gynt zu erschlagen. Doch bei den Pas de deux wünschte man sich mehr Bewegungsfantasie, vor allem bei jenem von Peer Gynt mit Solveig zu einem schwelgerisch romantischen Klaviersolo. Das sehnsuchtsvolle Streben zueinander, das die Musik impliziert, wird nicht zu einem fließenden gemeinsamen Tanz, sondern geht über ein eckiges Bewegungsspiel nicht hinaus.

peergynt irrenhausDennoch: Mit diesem „Peer Gynt“-Version hat das Wiener Staatsballett ein Stück in einem für das Repertoire völlig neuen, tanztheatralen Stil. Hier glänzen die TänzerInnen weniger mit ihrer virtuosen Tanz- als vielmehr mit ihrer Darstellungskunst. Jakob Feyferlik gelingt als Peer Gynt ein Meisterstück der Verwandlung vom sorglosen, charmanten und charismatischen Jüngling zum gebrochenen alten Mann. Beeindruckend, wie der 21-jährige Solist, der in dem rund zweistündigen Ballett beinahe ununterbrochen auf der Bühne steht, diese Rolle gestaltet ohne dass die Choreografie auf eine eindeutige Charakterzeichnung abzielt.peergynt ase

Denn Clug setzt nicht auf psychologische Interpretationen seiner Figuren, sondern fokussiert ganz auf den musikalischen Erzählfluss. Bei der Musikauswahl sind in die Peer-Gynt-Suite auch andere Stücke des norwegischen Komponisten zu einer stimmigen Collage zusammengeführt. Das Orchester und die Pianistin Shino Takizawa brillierten unter der Leitung von Simon Hewett.

peergynt endeDas Orchester ist gleichrangiger Partner. In einzelnen Szenen fährt Clug die Aktionen stark zurück und lässt nur Griegs Musik wirken. Diese dramaturgischen Kunstgriffe verleihen dem Stück zusätzliche Emotionalität, etwa wenn Gynt am Ende des ersten Aktes in sich versunken allein auf der Bühne bleibt, nachdem er von seiner toten Mutter Abschied genommen hat. Ebenso berührend das Ende: Peer Gynt und Solveig treten gemeinsam im Rückwärtsgang in einen lichtdurchfluteten Raum ein. Den (ersten und) letzten Auftritt hat der Hirsch, der sein Geweih ablegt, es über die Türe hängt und sich wie ein Wachhund davor legt, während die Musik ausklingt. Das stimmige Schlussbild überträgt sich auch auf das Publikum: der Applaus setzt erst ein, nachdem der letzte Akkord ganz verklungen ist.

Wiener Staatsballett: „Peer Gynt“, Premiere am 21. Jänner 2018 an der Wiener Staatsoper. Weitere Vorstellungen am 22., 24., 27., 30. Jänner, 1. Februar