Mit seiner letzten Solo-Performance hat Akram Khan dem Ersten Weltkrieg ein tänzerisches Denkmal gesetzt. Zwar ist der der 44-Jährige einziger Tänzer, doch der Dialog mit fünf fabelhaften MusikerInnen, das Bühnenbild und das kongeniale Licht- und Sounddesign sorgen für vielfältige Ausdrucksebenen und Interaktionen. Welche Narrativa – vom Soldaten bis zu Prometheus – Khan auch immer in „Xenos“ hineingepackt hat, das Ergebnis ist ein eindringliches und beklemmendes Gesamtkunstwerk.
Dabei beginnt es ganz harmlos, fröhlich und traditionell. Der Tänzer – Akram Khan ist bekanntlich nicht nur ein Gigant des zeitgenössischen Tanzes sondern auch ein Meister des Kathak – gibt zusammen mit zwei indischen Musikern ein Konzert. Doch dann knistert es, das Licht beginnt zu flackern – Stromausfall. Der Erste Weltkrieg, in den tausende indische Söldner ziehen, um für Großbritannien im europäischen Flächenbrand zu kämpfen und zu sterben, hat begonnen. Wie in einem Tsunami ziehen Seile das gesamte Bühneninventar über die schräg-steile Wand hinauf und in den dahinter liegenden Abgrund.
„Das ist kein Krieg, das ist das Ende der Welt“, tönt es aus dem Lautsprecher. Die folgende Stunde sind eine Bilderfolge über die mentalen Zustände eines Soldaten – ein Spiel aus Licht und Schatten, begleitet von intensiven, unausweichlichen Soundeffekten, die die Töne der Musiker verfremden (Originalmusik und Sounddesign: Vincenzo Lamagna). Immer wieder erscheinen sie im Licht über dem Geschehen, blicken quasi auf das irdische Sterben herab. Sind sie Hoffnungsboten oder Scharfschützen?
Der Graben, der Berg, der Hang, den Mirella Weingartens Bühnenbild darstellt, verwandelt sich unter dem Lichtdesign von Michael Hulls vom Schützengraben in ein blutiges Schlachtfeld, von einer Geröllhalde in eine Felswand, an der der gefesselte Prometheus seine grausame Strafe erleidet.
Der Soldat bleibt allein, einsam kämpft er gegen die Gewehrsalven, gegen die Erschöpfung, gegen die Traumata der Schützengräben, gegen seine Einsamkeit. Dieser Mann mag den Krieg überleben, doch er wird nicht derselbe sein, der er am Anfang war, das Gemetzel hat aus ihm einen Fremden (Xenos) gemacht. Akram Khan macht diese Transformation deutlich spürbar.
Seine Solokarriere hat der Ausnahmetänzer also mit einem überwältigenden Statement beschlossen, mit einer ästhetisch perfekt inszenierten Performance, die unter die Haut geht. Das empathische Tableau über den „ewigen Soldaten“ (O-Ton Khan) folgt einer stringenten Dramaturgie (Ruth Little) und wird so zu einem erschütternden Gedenken, einem humanistischen Plädoyer gegen den Krieg, dessen eindringliche Bilder- und Bewegungssprache zutiefst betroffen machen.
Akram Khan Company „Xenos“ am 17. Mai 2018 im Festspielhaus St. Pölten