Leo Délibes ist der Komponist der Saison beim Wiener Staatsballett. Nach „Sylvia“ an der Wiener Staatsoper kam nun „Coppélia“ an der Volksoper zur Premiere. Pierre Lacottes Rekreation orientiert sich an der historischen Aufführungspraxis und brachte einige vernachlässigte Aspekte zum Vorschein. Doch das Spannungsverhältnis von Mensch und Maschine steht freilich im Zentrum dieses heiteren Balletts.
Basierend auf E.T.A. Hoffmanns Novelle „Der Sandmann“ fand die Welt der Automaten im „Coppélia“-Libretto von Charles Nuitter und dem Choreografen Arthur Saint-Léon eine harmlosere Interpretation als im 2. Akt der weitaus düsteren Oper „Hoffmanns Erzählungen“ von Jacques Offenbach. Beide Bühnenversionen des Stoffes hatten in Paris ihre Uraufführung: „Coppélia“ 1870, „Les Contes de Hoffmann“ 1881.
Coppélia ist die Schöpfung von Coppélius, eine Art Erfinder cum Zauberer. Die mechanische Puppe ist einer Frau so ähnlich, dass Franz, der die Schöne am Fenster sitzen sieht, sich in sie verliebt. Sie hat zwar nur Augen für ihr Buch, dennoch wird Franz‘ Verlobte Swanilda auf sie eifersüchtig. Eine Kornähre soll seine Treue auf die Probe stellen. Nachdem er schienbar überführt ist, beendet die resolute Swanilda die Beziehung. Doch gleich darauf verschafft sie sich Einlass in Coppélius' Haus, erlebt, wie die Puppen tanzen, und nimmt den Platz Coppélias ein. Währenddessen verschafft sich Franz über das Fenster Einlass, um das Objekt seiner Begierde zu treffen, wird aber von dessen Schöpfer erwischt und außer Gefrecht gesetzt. Nun, so meint Coppélius, kann er die menschliche Lebensenergie von Franz ableiten und auf den Automaten übertragen. Swanilda spielt das Spiel mit, gibt sich als zur Leben erwachten Puppe und rettet schließlich ihren Franz aus der Bredouille. Nun kann die Hochzeit der beiden ausgiebig gefeiert werden.
Natascha Mair überzeugt als Swanilda darstellerisch ebenso wie tänzerisch – geschenkt, dass die schwierige Variation im ersten Akt noch Schwierigkeiten macht. Die frisch gekürte Erste Solistin ist die perfekte Besetzung für diese Rolle. Denys Cherevychko beweist seine Stärke als Komödiant und scheint von seinen Variationen eher unterfordert zu sein. Die Rolle des gichtgeplagten Coppélius fällt dem wendigen Alexis Forabosco nun doch ziemlich schwer, immer wieder „verliert“ er seine Beschwerden – keine einfache Aufgabe, da die Bewegungen genau auf die Musik abgestimmt sind.
Das Wiener Staatsballett ist ganz in seinem Element, das Ensemble gibt sich heiter und ausgelassen in der Mazurka oder im Csardás im ersten Akt, und feierlich-getragen bei den allegorischen Divertissements im dritten Akt, etwa im Stundenwalzer. Gelegentlich erweist sich bei dem überschäumenden Temperament die Volksopernbühne als zu klein. Elegant die SolistInnen Nina Tonoli als Aurora, Madison Young als Nacht und James Stephens als Abenddämmerung. Scott McKenzie zieht mit seinen flinken Beinen und seiner Beschwingtheit als Verlobter die Aufmerksamkeit auf sich.
Die Pantomime spielt in dieser Version eine wichtige Rolle, wobei Lacotte die Gestik manieristisch verziert. Der französischen Tradition folgend werden die Bewegungen quasi hingetupft und tänzerisch miteinander verbunden. (Im Gegensatz etwa zu Alexei Ratmanskys Ansatz, der in seinen Rekonstruktionen klassischer Ballette die Pantomime als eigenständige Sprache klar und unverschnörkelt einsetzt).
Lacotte hat nicht nur den Tanz, sondern auch Kostüme und Ausstattung nach den Originalentwürfen gestalten lassen und dabei deutlich auf den Ort der Handlung, das ehemalige Galizien verwiesen: knielange Tutus, Glitzersteine in Haar und polnischer Trachtenlook ergeben ein folkloristisch geprägtes Gesamtbild. Sogar der Priester ist als Pope der Ostkirche gestylt. Dieser Aspekt ist bei Lacotte stärker als in anderen Versionen betont, auch Krieg und Frieden werden im Rahmen der Divertissements im 3. Akt kurz thematisiert (und musikalisch verarbeitet), wohl als Anspielung auf den Aufstand 1848 und dessen Folgen für die Region.
Leo Délibes an Klangfarben reichen Partitur wird vom Orchester der Volksoper unter der Leitung von Simon Hewitt schwungvoll gespielt und – ebenso wie die TänzerInnen – vom Publikum mit begeistertem Applaus quittiert.
Wiener Staatsballett „Coppélia“, Premiere am 27. Jänner 2019 an der Volksoper, weitere Vorstellungen am 30. Jänner, 2., 6., 16., 19. Februar, 10. und 14. März