Da ist eine, die unter allen, also auch unter Corona - Umständen etwas sagen will und auch zu sagen hat: performativ, tänzerisch, bildnerisch sowie mit Mitteln digitaler Medien: Ursula Graber. „Zu sagen hätte“ ist teilweise zutreffender. Denn das, was sie nun in (corona-bedingt) kleinstem Kreis einer Handvoll Journalisten als live-Premiere präsentierte, ist nicht eben aufgelegt für inhaltlich unmittelbares Verstehen oder geradlinige Entschlüsselung.
Umso anregender ist die Tanzperformance aber als Herausforderung für das individuelle Assoziations-Potential. Denn nein, langweilig wird einem in dieser gut einstündigen, gleichermaßen wirbelig wie gemächlich sich präsentierenden, weiblichen Bilder- und Gedankenwelt sicherlich nicht; selbst wenn sich einzelne Szenen wie das Wälzen mit Requisiten auf dem Boden oder aber auch die letzte, videotechnisch ungewöhnlich und originell aufbereitete etwas in die Länge ziehen.
Wie auf Ursula Grabers besuchenswerten Homepage (www.ursulagraber.com) nachzulesen ist, werden in einer viergeteilten Aufbereitung weibliche Persönlichkeiten in Hinblick auf ihre Fähigkeiten, ihren Umgang mit Macht analysiert und schließlich skizziert; um abschließend aus der gewonnenen Essenz eine neue, auf feministischer Basis aufgebauten Welt zu kreieren.
Zielgerichtete Aktionsabsicht prägt das erste, in kämpferischem Rot (Licht: Lisa Raschhofer) gehaltene Bild einer von Beginn an offenen Bühne. Das sich entwickelnde szenische Mosaik ist vorerst dominiert von angedeuteten Gesten des Gebens und Nehmens, respektive eines vorerst eher An-nehmens: Da ist noch viel an Beobachtung und Überlegung, an Ausharren und ruhigem Abwarten zu spüren. Begleitet allerdings von immer wieder ausbrechender Aktionslust, von anscheinend nur mit Mühe unterdrücktem Handlungsbedürfnis; so jedenfalls könnte das performativ-tänzerische Tun interpretiert werden. Und, dass es da auch ein aggressives Potential gibt, das sich immer deutlicher Raum verschafft, sich verschaffen muss. Und wie schon in ihrer Performance „Starlight ‚Killjoy‘ Coquelicot“ (s. tanz.at 8. September 2020) schont sich Ursula Graber nicht, was den ihr dazu notwendig scheinenden Körpereinsatz betrifft. Einer, der in diesen und vielen anderen, auch ruhigen, feingeführten Passagen, überzeugt und ausdrucksreiches zeitgenössisches Können unter Beweis stellt.
Die Kontrastierungen von weiblicher und männlicher Kraft oder auch Macht sind weitgehend abstrakt, wofür man angesichts der hängenden und auf dem Boden liegenden zwar verfremdeten, aber doch offensichtlich vordringlich männlichen Requisiten‘ dankbar ist (im Sinne von „weniger ist mehr“). Deren durch die Luft Schleudern und auf den Boden dreschen mag in seiner Intensität als etwas vergröbernd empfunden werden, ihre relativ erfolglose Aneignung hingegen als gelungene Metapher eines zu vermeidenden Vorgehens. Inwieweit derartige Interpretationen zutreffen oder stattfinden, ist nicht nur (bezüglich der letzten Frage) ob des mangelnden Publikums offen. Ebenso an anderer Stelle, wenn sich die Protagonistin mit eben diesen Symbolen umgibt, sie neu arrangiert, sich mit diesen behängt, in sie eintaucht, sich also ihrer bemächtigt oder diese, nach ausuferndem Kampf, derart ansatzweise eliminiert – all das ist im Bedeutungsspektrum sehr offen. Nichtsdestoweniger aber ist all dies in seiner immer wieder nahezu impertinent unästhetischen Präsentationsweise packend, berührend und aufrührend.
Ja: wann ist eine Frau eine Frau? Verführerisch lässt Graber ihre Finger und Zehen tanzen – der Rezipient nimmt es dankbar auf, das Feinsinnige, wird aber alsogleich in eine ebenso existierende, ganz andere Realität gestoßen, wenn sich Finger und Zehen genauso kraftvoll und bedrohlich gekonnt spreizen.
Es gibt zu denken, wenn aufgetragener Lippenstift beim Marschieren im Stechschritt zum Bart mutiert; es schmerzt, wenn Be-Sitzen nicht nur im konkret vorgeführten Bild die damit verbundene lustvoll-rücksichtslose Machtausübung – nun auch auf dieser, auf der weiblichen Seite – provoziert und letztlich generiert.
Die Summe ungewöhnlicher, teilweise fast zu übersehender Szenen-Schnipsel und solche der längeren Art, die nicht unmittelbar ansprechen, aber umso tiefgründiger und mehrdeutiger sind, macht die Nachhaltigkeit dieser als humorvoll angekündigten, aber tatsächlich tiefernsten, durchdachten Präsentation aus.
Premiere ohne Publikum: 12.3.2021, Kristallwerk, Graz, Online-Stream: 19. Und 20. März. Fr.19:00, danach Artist Talk auf Deutsch, Sa.20:00, danach Artist Talk auf Katalanisch