Das Grazer Tanzfilm-Festival „Dance on Screen“ ist das einzige seiner Art in Österreich. Seit 2016 findet es alljährlich statt und versucht anhand seines internationalen, inhaltlich wie formal breit gestreuten und qualitativ hochwertigen Programmangebots diese relativ neue, spartenübergreifende Kunstform (erst in den 50erJahren begann sie langsam Fuß zu fassen) an ein größeres Publikum heranzuführen.
An eines, das den künstlerischen Mehrwert dieses kreativen Zusammenspiels von bewegten Körpern und bewegten Bildern erkennt und zu schätzen weiß. Ebenso wie die zunehmend davon Begeisterten weltweit oder wie Valentina Moar, die dieses Festival in Graz ins Leben gerufen hat, leitet und soeben die 5. Ausgabe, die ursprünglich für den letzten November geplant war, nun erfolgreich nachholen konnte: An drei Tagen, an denen 50 Filme gezeigt wurden: Geladene Special-Guest-Filme sowie 35 ausgewählte aus einem Open Call, bei dem es nahezu 350 Einreichungen gegeben hatte.
Ein dichtes, um nicht zu sagen forderndes Programm: Zusätzlich zu den Gesprächen mit den 3 Jurymitgliedern (Melanie Suchy, Katia Huemer, Alex Pachón) und solchen mit dem Publikum nach dem jeweiligen Filmblock waren es jeweils zweistündige Vorführungen von zweimal 17 und einmal 16 Kürzest- und Kurzfilmen (Maximallänge 25 Minuten), von denen aber nichtsdestotrotz kaum eine Film-Minute zu viel war, von denen man kaum eine Film-Szene missen möchte.
Die Vielfalt dieser ausnahmslos zum ersten Mal in Österreich gezeigten, interdisziplinären filmischen Tanz-Kunst-Werke ist enorm; sowohl was die tänzerische und performative sowie die filmische künstlerische Umsetzung in dieser speziellen Form des Dance for Camera, des Screendance oder Dance Films – wie die noch nicht einheitliche Bezeichnungen lauten - betrifft. Jedes von ihnen ist nur durch die Zusammenarbeit mit dem anderen Medium möglich; welche Kunstform tonangebender, in welchem Bereich aussagekräftiger, experimenteller, qualitativ anspruchsvoller ist - insgesamt oder in einzelnen Szenen -, das divergiert. Ein nachvollziehbar homogenes Gesamtkonzept der interagierenden Künste sollte jedenfalls nicht nur erkennbare Voraussetzung für das Miteinander sein, sondern auch die Basis für eine Beurteilung.
Bei einer solchen ist das Tanzfilmprojekt „BODY-Buildings“ von Moonway Films (Lissabon), das ob seiner Länge lediglich unterteilt und als Special Guest gezeigt werden konnte, als herausragend zu erwähnen. Der Filmemacherin Henrique Pina gelingt hier mit sechs Choreographen an sechs ausgewählten Orten eine jeweils höchst individuelle, einprägsame Verbindung von Architektur und Tanz, wobei der Eröffnungsfilm „Beast“ in de Choreografie von Victor Hugo Pontes nicht nur chronologisch die Spitzenposition einnimmt.
Für all die anderen Filme, also für die, die um die Dance-on-Screen-Awards antraten, gilt vorweg, dass sie in ihrer Gegensätzlichkeit einen äußerst perspektivenreichen Einblick in das gewähren, was diese junge Kunstform ausmacht und heute zu bieten hat – Valentina Moars Auswahl zeugt von künstlerischer wie inhaltlicher und nicht zuletzt zeitkonformer Offenheit.
Weiters ist in der Entwicklung der letzten Jahre eine Tendenz zu erhöhter Aufmerksamkeit, ja Behutsamkeit, zur Sensibilität für den Ausdruck im Detail festzustellen - filmisch gesprochen: zur Nahaufnahme und langen, ruhigen Kameraeinstellungen; auch eine größere Anzahl in Schwarz-Weiß gedrehten Filmen fällt auf; eine weitere Art der Reduktion, die überzeugt. Ein neues, anderes, ein entdeckendes Hinschauen und Sehen scheinen sich zu entwickeln. Wunderbare Beispiele dafür sind die inhaltlich einerseits unterschiedlichen, aber durch die behandelte Gender-Problematik andererseits auch wieder ähnlichen, außergewöhnlichen Filme „Swivel“ von Lois Norman (GB) und „Jontae“ von S.Obregon und K.Lyne (Kanada). Ihnen zur Seite zu stellen als bemerkenswertes und faszinierendes Beispiel für aufmerksam beobachtetes und also zu hinterfragende männliches Rollenklischees - ungewöhnlich präsentiert in „Le Bal“ von Tarek Ait Meddour (Frankreich).
„Come Rain or Shine“, das ist Expressivität, dargestellt im Kleinen, im im Grunde Unspektakulären, tänzerisch hochqualitativ und ungewöhnlich umgesetzt von und mit Justyne (hong Kong, zählt zum engsten Kreis der Spitzenproduktionen. Ebenso wie der poetisch-dramatische, wunderbar in die Natur integrierte und in Chormusik der besonderen Art gebettete Film „Navigation“ von Marlene Mlilar (Kanda). In gewisser Weise nicht unähnlich dem mit der Dramatik der Natur und der des (männlichen) Körpers interagierende, mitreißende Film „Toporzel“ von Iwona Pasiriska (Polen). Für gänzlich andere filmtechnische Ausdrucksstärke und tänzerische Inhalte, die sich zwischen Individualisierungssehnsucht und Gleichmachung sowie Anpassung der Massen bewegen, steht „ID“ von Cass Mortimer Eipper (Australien). Noch zahlreiche andere Titel, die berührten und überraschten, faszinierten und Neues aufzeigten, wären anzuführen.
Nicht unbedingt jene und jedenfalls nicht an erster Stelle diejenigen, die ausgezeichnet wurden – wiewohl zweifelsfrei auch jeder dieser Filme seine besondere, aus der Durchschnittlichkeit fallende Qualität hat. Die Award-Gewinner seien aber selbstverständlich hier erwähnt: Als Best Film wurde „Ben“ von T. Sala u.a. (Italien) ausgezeichnet. Der Preis der Jury ging an „A Rock“ von Shing Lee, Hong Kong, der Publikumspreis an "Dusk" von Henrique Pina, Portugal. Eine Special Mention erreichte der dänische Beitrag “Beyond“ von Simone Wierød sowie „Dancing is an old Friend“ von Marta Renzi aus den USA.
DANCE ON SCREEN: 18., 19., 20. Juni 2021, Orpheum GRAZ. www.danceonscreen.at