Dem wird wohl niemand ernsthaft widersprechen, doch was bedeutet es eigentlich, wenn man das gesundheitspolitisch weiterdenkt? Denn die wissenschaftliche Evidenz von “Arts and Health” ist längst erwiesen, und international betrachtet haben zahlreiche Initiativen spannende Projekte für kunstbasierte Interventionen ins Leben gerufen. In Österreich jedoch gibt es Nachholbedarf, wie Edith Wolf Perez und Autor*innen in einer umfassenden Studie aufzeigen.
Das Erleben von Kreativität funktioniert in beide Richtungen positiv, in der Ausübung ebenso wie im Genuss von Kunst. Künstlerische Interventionen verschaffen uns mental wie körperlich Wohlbefinden und tragen zur Stärkung der individuellen und sozialen Identität bei. Wissenschaftlichen Studien gemäß verschaffen etwa musikalische Praktiken, wie das gemeinsame Singen im Chor, aber auch das Zuhören und Wahrnehmen von Chorgesang Freude. Wohltönender Gesang kann bekanntlich Gänsehaut erzeugen. Ebensolches gilt für performative Künste, sowohl praktizierend in theatralen Settings, als zuschauend als Publikum.
Von Aristoteles kennen wir den Vorgang der Katharsis beim Erleben einer Tragödie im klassischen Griechenland, einem Begriff rituellen Ursprungs im Kontext der Heilung von missliebigen Zuständen und Krankheiten. Dabei führt die ästhetische Erfahrung zu einer Transformation der Zuschauenden, wenn deren Affekte erregt und sie derart in einen liminalen Zustand versetzt werden. Auch aus der Theaterpraxis des 17. und 18. Jahrhunderts kennen wir die Affizierung des Publikums und Auslösung der Affekte mittels gestischen Spielens. Auch hier nutzte man das potential theatraler Kommunikation.
In ihrer Studie nähern sich Wolf Perez und Autor*innen ihrem Gegenstand zunächst über eine Begriffsbestimmung an und klären die kursierenden Bezeichnungen im Feld von “Arts and Health”. Denn dieses umfasst allgemein künstlerische Interventionen im Zusammenhang von Gesundheit und Wohlbefinden. Dabei differenzieren sie zwischen “Arts for Health” als künstlerisch-kreativer Intervention, “Kunsttherapie” als psychotherapeutischem Verfahren und “Arts within health” als Angebot für im Gesundheitsbereich tätige Menschen.
Gegenstand der Studie ist der erste Topos “Arts for Health”. Derartige Initiativen werden oft von professionellen Künstler*innen geleitet, wie Wolf Perez schreibt. Zielsetzung sei es, das Wohlbefinden der Teilnehmenden zu fördern, deren soziale Bindungen zu verstärken, zu einem gesünderen Lebensstil der Partizipirenden beizutragen und deren Resilienz zu erhöhen. Als Beispiel nennt Wolf Perez die in den 1960er Jahren entstandenen und von vielen Kommunen geförderten “Community Arts” im angelsächsischen Sprachraum. Hierbei stehe der soziale Aspekt im Fokus, wohingegen etwa in Österreich im selben Zeitraum freie Gruppen ausschließlich für “künstlerische Innovation” gefördert worden seien und nicht für soziale Beiträge.
Ausführlich fassen die Autor*innen die Evidenzlage von “Arts and Health” gemäß der WHO (World Health Organization) zusammen. Deren Metastudie resümiert, dass sämtlichen Kunstkategorien gesundheitsfördernde Komponenten immanent wären, vor allem bezüglich Prävention, Gesundheitsförderung und Gesundheitsvorsorge. Doch auch weitere wissenschaftliche Studien zu diesem komplexen Thema und deren Modi der Evaluierung kommentieren die Autor*innen in einem eigenen Kapitel, und gehen da beispielsweise in praktischer Hinsicht auf die “Gesundheitsclownerie” der berühmten “Roten Nasen Clowndoctors” ein.
Ein weiterer wesentlicher Punkt der Studie ist Vergegenwärtigung von “Good Practice International”, wobei naturgemäß Großbritannien der meiste Raum zukommt, wo es etwa längst ein “Social Prescribing” von Kunst gibt. Doch auch in Finnland, Dänemark, den Niederlanden, Irland und den USA existiert eine Praxis von “Arts and Health” seit langem.
Österreich weist erwartungsgemäß Mängel auf, wie die Autor*innen darlegen. Daher endet die Studie mit einer Reihe von “Policy-Empfehlungen”, wie der gezielten Förderung innovativer Kunstprojekte im Gesundheitskontext auf Basis der Anerkennung eines Mehrwerts kultureller Teilhabe für die Gesundheit. Dazu brauche man zunächst eine politischen Strategie-Entwicklung, einen transversalen Ansatz, eine sektorübergreifende Koordination und Finanzierung, eigene “Arts and Health”-Referate in den Institutionen sowie interdisziplinare Forschung. Details dazu finden sich in diesem aussagekräftigen Buch.
Edith Wolf Perez (Hg.): Arts and Health – Österreich im internationalen Kontext. Bielefeld: 2023 transcript Verlag.
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Aviso:
Das Buch, das im Auftrag des BMKÖS entstand, ist Anlass für ein Symposium zu diesem Thema. Mit einem Mix aus praktischen Beispielen, interessanten Keynotes und spannenden Diskussionen werden die internationale Praxis und der neueste Stand der Forschung über Kunst und Kultur im Kontext von Gesundheit, Wohlbefinden und Sozialwesen präsentiert und diskutiert. Wir freuen uns auf Expert:innen aus Großbritannien, den Niederlanden, Irland und Österreich sowie von der Weltgesundheitsorganisation und EU-Projekten, welche die globale „Arts and Health“-Bewegung maßgeblich mitprägen.
25. April 2023, 9:30 bis 16 Uhr
Museumquartier Wien, Ovalhalle
Details zum Programm folgen in Kürze.