Die schwedische Streetdance-Gruppe Bounce inszenierte „Einer flog über das Kuckucksnest“ als beeindruckendes und sozialkritisches Spektakel
Insane in the Brain, Museumsquartier / Halle E, 06.01.2010
Kann man das? Darf man das? Im Narrenhaus tanzen? Die schwedische Truppe Bounce zeiget mit ihrer fulminanten Produktion „Insane in the Brain“, dass beides möglich ist. Man darf und kann. Und wie man kann.
Mit beispiellosem Körpereinsatz zeigen die TänzerInnen die durch den Film bekannt gewordene Geschichte. „Einer flog über das Kuckucksnest“ wurde nach dem Roman Ken Kesey , dramatisiert von Dale Wasserman, von Milos Forman mit Jack Nicholson verfilmt. Das ist mehr als dreißig Jahre her. Bounce bringt die Tragikkomödie auf das Tanzparkett, aufregend, leidenschaftlich, ästhetisch, humorvoll und überaus beklemmend. Geht es doch um die menschenverachtenden Zustände in einem Irrenhaus, in das der Kleinkriminelle McMurphy sich verlegen lässt, um seine Strafe angenehmer abzusitzen. Doch er hat sich geirrt: In der Anstalt ist das Regime strenger und gemeiner als im Gefängnis. Mit Elektroschocks und Medikamenten werden die PatientInnen ruhig gestellt. Die machtgierige Oberschwester und die ihr ergebenen Pfleger halten die Insassinnen wie gefangene Tiere. Das lässt sich der lebenslustige McMurphy nicht gefallen. Er rebelliert. Und verliert. Grausamkeit und Machtbesessenheit gewinnen.
In einem flexiblen Bühnenbild, das immer wieder an einen Käfig erinnert, agieren die Tänzerinnen und Tänzer mit elektrisierender Akrobatik in präzise gesetztem Licht oder völliger Dunkelheit. Die Geschichte erschließt sich durch die individuellen Bewegungsmuster, die zugleich die Personen charakterisieren. Getanzt wird, was möglich ist: Hip-Hop und Breakdance und alles sonst, was entfesselte Bewegungen erlaubt. Wenn die Oberschwester die ihr Anvertrauten diszipliniert, müssen sie sogar Pliés und Battements exekutieren.
Als Zuschauerin ist man einem stets wechselnden Gefühlsbad unterworfen: Das Herz hüpft ob der tänzerischen Leistung der Truppe und sinkt gleich darauf in den tiefsten Keller, weil die Geschichte so aufwühlend und irritierend ist. Da muss ich mir immer wieder klar machen, dass sie im vergangenen Jahrhundert spielt und solche Zustände in psychiatrischen Kliniken heute kaum noch möglich sind. Aber dann fällt mir Guantanamo ein. Auch dort waren Wahnsinnige am Werk. Nicht auf der Patientenseite.
So beängstigend die durch die Inszenierung geschaffene Atmosphäre ist, so positiv aufwühlend ist die Leistung des Teams. Ob es der Schlafraum-Tanz im Liegen unter zuckenden Licht ist, oder die Bungee-Nummer, die an der schrägen Wand hängend getanzt (sic!) wird; die rührende Liebesszene hoch oben auf einer kleinen Plattform. oder die Ouvertüre, bei der die Patienten und Patientinnen sich vorstellen, und ihre Verwirrtheit und das fehlende Ichbewusstsein verständlich und eindringlich gezeigt wird - jede Szene ist es wert, dieses Tanzdrama (mit Humor) gesehen zu haben.
Bounce arbeitet als Kollektiv, wenn auch die Tänzer und Tänzerinnen ihre atemberaubenden Solos hinlegen, so ist entsteht der imponierende Eindruck dieses Abends durch die Gesamtwirkung. Ein Tanzabend wie er sein soll. Licht und Musik (von Cypress Hill über Astro Piazolla bis Edvard Grieg), Raum und Bewegung verschmelzen zu einem Gesamtkunstwerk. Nicht als abstrakte, seelenlose Show, sondern als ebenso poetische wie bewegende Geschichte.
Bounce wurde 1997 in Stockholm von Bewegungskünstlerlnnen unterschiedlichster Herkunft und Ausbildung gegründet. Schon ein Jahr später trat die bunt zusammen gewürfelte, aber hart trainierende Truppe im Stockholmer Dansens Hus auf und erntete begeisterte Kritiken. Seitdem hat Bounce einen festen Platz im Programm des Stockholmer Tanzquartiers. Die Truppe arbeitet seit der Gründung ohne führende Choreografin und ist für jede Produktion als Kollektiv verantwortlich. Dennoch ist es Bounce mit mehr als zehn Produktionen gelungen, Hip-Hop und Breakdance und sämtlichen neuen Bewegungsmustern (Popping, Electric Boogie, Locking, oder Boogaloo) vom Odium des Kommerzes und der Freizeitbeschäftigung für Straßenkinder zu befreien.
Bounce hat mit „Insane in the Brane“ gezeigt, dass die neuen Tanzformen durchaus ernstzunehmende Stile sind und anderen Formen des Bühnentanzes in nichts nachstehen. Nicht nur weil, die Ausführenden sich einem besonders harten Training unterwerfen müssen.
Noch zu sehen bis 17. Jänner 2010.