Wayne McGregor ist von der Wissenschaft fasziniert. Seit Jahren befasst er sich in Zusammenarbeit mit namhaften Kognitionswissenschaftern, Hirnforschern und Genetikern mit den Zusammenhängen physischer, physiologischer und psychischer Faktoren - und untersucht die Ergebnisse der Forschungen in seinen Tanzstücken.
Ist die Wissenschaft seine Leidenschaft und Inspiration, so ist der Tanz seine Berufung. Dass er die vielfältigen wissenschaftlichen Ansätze zu einer überaus sinnlichen und spannenden Theatermagie vereint, ist nicht nur ein Meilenstein im zeitgenössischen Tanzschaffen. Das ist in der internationalen Tanzwelt längst anerkannt. Wayne McGregor ist Resident Choreographer am Royal Ballet und seine Compagnie Random Dance residiert im Sadler's Wells Theater in London - damit hat er die renommiertesten Theater in London hinter sich. Bereits 2001 wurde Wayne McGregor von der Zeitschrift Time Out zum „heißesten Choreografen des Landes“ gekürt. Seither ist die Liste seiner internationalen Preise und Auftragsarbeiten (unter anderem für die Pariser Oper, die Mailänder Scala, das Stuttgart Ballett oder das New York City Ballet) unüberschaubar.Mittlerweile ist der Tänzer/Choreograf aber auch in der Welt der Wissenschaft angekommen und „innovator in residence“ an der University of California in San Diego.
Wenn man will, erkennt man in „Entity“ den analytischen Ansatz an den - ähnlich wie in einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung - wiederkehrenden Mustern. Man kann auch die Extreme seiner Tanzsprache, die die Tänzerkörper in ständiger Spannung halten, mit seiner Auseinandersetzung mit der Artificial Intelligence interpretieren. Sicher sind auch die Videoanimationen von Ravi Deprees Referenzen an die Wissenschaft.
Das Außergewöhnliche an McGregors Ansatz ist aber sicher, dass er seine intellektuellen Erfahrungen unmittelbar in eine instinktive, kinästhetische Form bringt. Seine ungewöhnlichen, hochkomplexen Bewegungen, ausgeführt von den beweglichsten TänzerInnen, die ich seit langem gesehen habe, scheinen den Körper in Segmente zu gliedern - hier der weit nach vorne geschobene Oberkörper, dort die abgespreizten Beine und Arme, und die Hände, die wiederum in eine andere Richtung weisen. Sie kommen in Soli und Gruppenszenen ebenso zum Vorschein wie in den verknoteten Pas de deux und vor allem in den virtuosen Trios, in denen die Tänzer einander manipulieren und dabei an den Rand der physischen Möglichkeiten gehen. Ob in fließenden Sequenzen oder robot-artigen Bewegungen, immer sind Risiko und Tempo die bestimmenden Größen der gesamten Choreografie.
Die Kostüme von Patrick Burnier verstärken die Aufmerksamkeit auf die Bewegungen: enge schwarze Höschen und weiße Tops mit digitalen Schriftzeichen im ersten Teil, nackte Oberkörper bzw. schwarze BHs in der zweiten Hälfte.
Zum futuristischen Ambiente tragen die Musik von Joby Talbot und Jon Hopkins bei, die zwischen elektroakustischem Sound und klassischen Ansätzen changiert sowie das einfache und wirkungsvolle Bühnenbild (ebenfalls von Patrick Burnier). Es begrenzt die Bühne durch drei transparente Panele, die im Laufe des Stückes vom Boden bis über die Köpfe der TänzerInnen verstellt werden, als Videoprojektionen dienen und mit der ausgezeichneten Lichtregie von Lucy Carter zusammenspielen.
Verblüffend ist auch die Wirkung auf den Zuschauer. Ich befand mich in einer Art Trancezustand. Die Geschwindigkeit und Intensität des Tanzes wirkte wie eine Löschfunktion auf meine Fantasie, und der Tanz prägte sich auf einer gereinigten, mentalen Fläche wie auf einer weißen Leinwand ein, hinterließ dort seine Ab- und Eindrücke und baute seine eigene Logik und Bedeutung auf - intelligent, brillant, aufwühlend.