Der Performer Oleg Soulimenko wird wieder einmal zum Alien und besucht mit drei anderen seiner Spezies den menschenleeren Planeten Erde. „A Visit tot this Planet II“ ist eine ebenso unterhaltsame wie ernst zu nehmende Aufführung.
Tabula rasa. Wenn die Aliens landen ist der Planet Erde bereits eine Wüstenei. Von den Menschen, ihrem Denken und Tun sind nur noch Spuren vorhanden. Diese zu erforschen, haben sich die vier Besucher zur Aufgabe gemacht. Das Ergebnis erstaunt sie. Auch wenn die Vorboten der Apokalypse – Krisen, Kriege, Katastrophen – unübersehbar sind, lassen sich die Menschen nicht beirren. Wie gewohnt wursteln sie weiter.
Wie beim ersten Besuch auf dem toten Planeten („A Visit to this Planet“, Tanzquartier , 2010) versuchen die Fremdlinge die einstigen Bewohner zu verstehen. Sie ahmen sie nach, versenken sich in ihre Kunstproduktionen und in den Sportwahnsinn und erfreuen sich, Performer, die sie sind, auch an den Wurzeln von Ballett und Tanz. Wenn sie die Gefühle dieser ausgestorbenen Art nachvollziehen wollen, landen sie im Klischee. Oder im Kino, wo sich die komischen, längst ausgestorbenen Typen von Katastrophen auf der Leinwand rühren lassen, die realen Tragödien auf ihrem Planeten jedoch negieren.
Im zweiten Teil, der mit beißender Ironie, in durchdachter Choreografie vorgetragenen Bestandsaufnahme steigen die DarstellerInnen (Choreograf Oleg Soulimenko, Deborah Hazler, Radek Hewelt, Thomas Kasebacher) aus ihren Rollen und erzählen, wie ihr Leben auf der Erde aussehen soll oder hätte sein können und natürlich auch, wie es weiter gehen könnte. Nur der Chef des auf der Erde gelandeten Quartetts (Thomas) hat nichts zu melden. Er ist an der schlechten Luft auf dem fremden Planeten gestorben.
Doch eigentlich ist alles nur ein Spiel. Thomas (Kasebacher) steht von den Toten auf und reklamiert sich wieder unter die Lebenden. Er hat das letzte Wort: „Thomas“. Noch ist nicht alles verloren.
In diesem spannungsreichen, energiegeladenen Spiel treibt Oleg Soulimenko mit dem Entsetzen Scherz und unterhält sein Publikum mit Musik – die Waffen der Aliens sind E-Gitarre und ein goldglänzendes Saxophon – und Tanz. Viele Fragen werden gestellt, doch keine Antworten gegeben. Die, so hofft der Regisseur, wird das Publikum selber finden. Jede und Jeder für sich und alle miteinander. Wenn es dann nicht zu spät ist.
Wie der russische Tänzer, Regisseur und Choreograf Oleg Soulimenko die Körper auf der Bühne sprechen lässt, ergibt sich direkt aus seiner Biografie. Geht es ihm doch nicht um den strengen Bewegungskatalog des klassischen Tanzes sondern um die Freiheit. Freiheit des Ausdrucks und der Darstellung, Freiheit, Grenzen zu überschreiten und sich außerhalb der gedankenlos dahinschlurfenden Masse zu bewegen. Dennoch hat er nach der Schule auf Wunsch der Eltern brav sein Ingenieurstudium in Moskau absolviert und danach bei der Armee gearbeitet. „Das wichtigste war, pünktlich zum Dienst zu erscheinen. Wehe du kamst eine Minute zu spät. Aber danach war nicht viel zu tun.“ Oleg konnte sich seinen Träumen von einem Leben als freischaffender Künstler, als Tänzer und Performer hingeben. „Mit 25 habe ich angefangen zu tanzen, mit 30 habe ich erst begriffen, was es bedeutet, Beine und Arme in alle Richtungen zu werfen und auch mit dem Körper und seinen Bewegungen zu kommunizieren.“ Der Weg vom Techniker zum Tänzer war lang und beschwerlich. Nach der Perestroika war zwar vieles erlaubt, „aber es fehlten die Strukturen und Ressourcen.“ Doch die Grenzen waren offen und Oleg Soulimenko studierte und trainierte nicht nur in Moskau sondern ebenso in Europa, Amerika und Japan. 1990 gründete er in Moskau das „Saira Blanche Theatre“, ein Laboratorium für Performance und Improvisation. Bald war er mit den Produktionen bei allen wichtigen Tanzfestivals in Europa und Amerika zu Gast. Hängen geblieben ist er schließlich in Wien. Heute erzählt er von den vielen Möglichkeiten, die Wien einem Künstler bietet, den Künstlerinnen aus aller Welt, die er im Tanzquartier trifft und der Schnittstelle zwischen Ost und West, die die Stadt nicht nur geografisch ist. Natürlich gab es auch einen privaten Grund, das Pendeln zwischen Moskau und Wien zu beenden, doch diese Liebe hat sich längst verflüchtigt. Dass renommierte KollegInnen wie Meg Stuart, Steve Paxton, Jennifer Lacey oder der bildende Künstler Markus Schinwald (Österreichvertreter bei der Biennale di Venezia 2011) gern mit ihm zusammenarbeiten, internationale Veranstalter sich um seine Produktionen reißen und das Publikum begeistert ist, mag Motivation genug sein.
Also mangelt es Soulimenko niemals an neuen Ideen und Projekten. „Manchmal habe ich das Gefühl die künstlerischen vier Wände sind schon zu eng, ich muss wieder hinaus.“ So beschäftigt er sich neuerdings mit elektronischen Klängen (eine CD ist schon produziert) und frönt seinem Interesse an Rockmusik.
Weniger begeistert ist er von seinem kürzlich gemachten Besuch in seiner Heimat Moskau. Schon seit der Hälfte der Amtszeit Wladimir Putins ortet er nur noch Rückschritte in der Demokratieentwicklung. Dass die Protestkundgebungen der jüngsten Zeit etwas bewirken, kann er nicht glauben. Was ihn beunruhigt ist die Teilnahmslosigkeit seiner Kollegen.„Die Künstler in meinem Umfeld bleiben stumm. Jammern und leiden zwar, aber tun nichts.“ Für Soulimenko ist das „ein großer Unterschied zu Österreich, in Moskau erwarten sich die Künstler nichts mehr von politischer Seite.“ Diese Resignation bringt ihn „zur Weißglut. Ich rede dort gegen eine Wand.“ In Wien, so denkt er, kommen die Positionen, die er dem Publikum zeigt auch an. „Tanz ist nicht aktiv politisch, ich bin weder Lehrer noch Missionar. Es geht darum, wann und wo und warum ich eine Performance zeige.“
Das Wann, Wo und Warum für die nächste Produktion steht bereits fest: Im Mai / Juni werden die Wiener Festwochen im rotierenden Restaurant des Donauturms das Dokumentartheater„Made in Austria“ zeigen. Menschen jeglicher Herkunft und unterschiedlicher Berufe, die in Österreich ihr „Glück“ gefunden haben, geben Einblick in ihre Biografie.
Dass die Gäste eher den Ausblick aus den Panoramafenstern in 160 Meter Höhe genießen, fürchtet Soulimenko nicht: „Die trockene Ästhetik der 70er Jahre, die klischeehafte Atmosphäre und die Nähe der Performer am Publikum ergeben eine spezielle Intensität. Da mache mir keine Sorgen.“ Unterkriegen lässt Oleg Soulimenko nicht.
Oleg Soulimenko “A Visit to this Planet, Part II“, Tanzquartier, 13. Jänner 2012.
Das Porträt Oleg Soulimenkos ist am 13.1. als Vorbericht im Schaufenster der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.