Vom Mut und Wert lokalen Nomadentums. Die Internationale Bühnenwerkstatt und das Internationale Tanztheater Festival in Graz starten alljährlich zu Sommer-Ferienbeginn. 18 Jahre fanden die Aufführungen im Theater im Palais statt. Bis sich im Jahre 2010 die Türen der geschätzten Location für diese Veranstaltung nicht mehr öffneten. Seither wurde gewandert.
Lange Gesichte konnten andere machen: Ursula Gigler-Gausterer, verantwortlich für Idee und Verwirklichung dieser Veranstaltungsreihe, konnte nur auf Suche nach einem neuen Aufführungsort gehen. Die erste Alternative, die tradierte und in der Zwischenzeit relativ multifunktionale Spielstätte im Orpheum, erwies sich 2010 nicht ganz den Erwartungen und Anforderungen entsprechend; ein „größerer“ Schritt ins noch Unbekanntere war angesagt und wurde getan: nicht nur, sondern wohl auch aus Alternativenmangel, aber auf jeden Fall mit zeitimmanentem Bewusstsein für das Jetzt führte er 2011 in den öffentlichen Raum: auf den Platz vor dem Orpheum und auf den Franziskanerplatz mitten in der Altstadt. Die Tanz-Gemeinde ging mit; aber nicht nur das: Da war auch noch ein „Laufpublikum“, das überrascht stehenblieb und so manches Mal - vielleicht auch erstmals – derartige, also zeitgemäße Formen von Tanz zu Gesicht bekam. Und eben diese Gesichter zeigten nach kurzer Ratlosigkeit häufig Interesse, zum Teil auch Begeisterung – ein Herantragen dieser Kunstform des zeitgenössischen Tanzes an sein potentielles Publikums war hiermit in einem ersten Schritt vollzogen; eine kleine Annäherung fand statt, deren Wert das aufhob, worauf bei den Präsentationen von Tanz „auf der Straße“ selbstverständlich an genereller Realisierbarkeit wie auch an Präzision, an Rezeptionsqualitäten verzichtet werden musste.
Heuer, beim 21.Mal „Internationale Bühnenwerkstatt/ Internationales Tanz Theater Festival“ gelang ein weiterer Coup: Einerseits wurde als „Folgeerscheinung“ der mit Kreativität neu gestalteter Platz in Graz – der Joanneumsviertel-Innenhof – endlich einmal wieder seit der Eröffnung für ein paar Stunden mit Leben gefüllt; andererseits bot Gigler Gausterer mit ihrer Eröffnungschoreographie und der Gesamtdramaturgie dieses Events eine stimmige Synergie von Architektur und Tanz. Nein, nicht alles gelang perfekt, aber das meiste überzeugte und vieles begeisterte von dem, was sich in den Lichttrichtern tat, was sich um diese herum, in dichter Abfolge und zumeist gut platziert an Konträrem entwickelte. Sichtbar gemacht für ein Publikum aus unterschiedlichen Perspektiven - von oben, von unten, auf gleicher Ebene. Realisiert von den DozentInnen der Bühnenwerkstatt, den PerformerInnen des Festivals und einigen KünstlerInnen aus unterschiedlichen Bereichen der regionalen Tanz-Szene.
Erfolgreich waren auch die drei Abende im Lesliehof-Joanneumsviertel: Zwar konnten sich letztlich nur vier KünstlerInnen respektive Gruppen präsentieren und deren Präsentationsdauer war (auch bei zweien an einem Abend) auf knapp eine Stunde beschränkt; aber es galt auch hier, dass Positives überwog; dass so mancher, der nur zufällig vorbeikam, dann doch stehen blieb und hineingezogen wurde - und sei es auch nur kurz, aber vielleicht auch nachhaltig - in die Tanzwelt. Oder dass der eine und andere, der für die anschließende Filmvorführung kam, einen kleinen Eindruck erhielt und neugierig wurde auf Weiteres. Und dass jedes einzelne Programm (bei allen Qualitätsunterschieden) sehenswert war.
Kurzfristig eingesprungen: Kjara Dance Project, eine sehr junge Gruppe aus Laibach mit einer (daher) auch noch nicht ganz ausgereiften Präsentation und zahlreichen stilistischen wie auch inhaltlichen „Reminiszenzen“. Isael Mata Cruz beeindruckte zwar wiederum mit seiner zentrierten Zielstrebigkeit, seiner meditativen Kraft und faszinierenden Technik, überzeugte allerdings weniger mit der Choreographie, die etwa durch Wiederholungen nicht schlüssiger, sondern langatmiger wurde. Ein Erlebnis – und war es auch schon ein wiederholtes Wiedersehen – wurde wiederum die Präsentation des Do-Theatre: weil sie in ihrer Präsenz und Technik unnachahmlich und schlicht ein visuelles Vergnügen mit Um-die-Ecke Assoziationen sind; und weil sie – eigentlich im Widerspruch zum soeben Gesagten – zwei junge, überaus vielversprechende, ausdrucksstark und dynamische wie auch sensible Künstler vorstellten: Olga und Ilja Romanov/a. Entsprechend voll die Zuschauerreihen und lang und kräftig der Applaus.
Am letzten Abend vermittelte Karine LaBel (Haiti/A) die laut eigener Aussage mit Voudou aufgewachsen ist, „getanzte Religion“. Nicht nur, weil jeder ihrer Finger und Zehenspritzen bei der Sache waren, nicht nur, weil Verharren und Versunkenheit genauso glaubhaft transportiert wurden wie die Explosionen ihrer Bewegungen. Nicht nur, weil ihre Geschmeidigkeit innere Wurzeln haben muss, um sich derart entfalten zu können…. . Sondern vor allem auch, weil sie total unexaltiert ausdrückt, dass sie etwas mitzuteilen habe: mit gleich viel Charme wie mit Ernsthaftigkeit und mit und durch ihren ganzen Körper.
21. Internationale Bühnenwerkstatt / Internationales Tanztheater Festival Graz, 7. bis 15. Juli 2012