Die Ankündigung, Arthur Schnitzlers „Reigen“ mit den Künstler-Persönlichkeiten der Wiener Jahrhundertwende in einem Ballett zu verbinden, klang äußerst spannend. Doch das Ergebnis der Uraufführung am Welttanztag blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Das Team Ashley Page (Choreografie) und Antony McDonald (Ausstattung) verrannte sich in Klischees, und Schnitzlers Skandalstück wurde zu einer harmlosen Nummernrevue.
Page/McDonald übernehmen die Struktur von Schnitzlers Drama, ignorieren aber dessen soziale Dimension. In dem Skandalstück (über das der Autor wegen des Aufruhrs selbst ein Aufführungsverbot verhängte, das erst 1982 aufgehoben wurde) geht es um die Moral der Gesellschaft des Fin de Siècle in einem Reigen durch alle sozialen Schichten, vom Proletariat bis zur Aristokratie.
Das Ballett „Ein Reigen“ spielt jedoch ausschließlich in der großbürgerlichen Welt, in der die Kaliber der Kunstwelt verkehrten. In Bertha Zuckerkandls (elegant: Dagmar Kronberger) Salon treffen sie sich zu ihren Liebesspielen: Alma und Gustav Mahler, Oskar Kokoschka (Kirill Kourlaev) und das süße Mädel (Alice Firenze), Peter Altenberg (András Lukács), Egon Schiele (Mihail Sosnovshi) und Wally Neuzil (Maria Alati). "Wer ist wer?", heißt das Ratespiel. Die Personen sind durch ihre bezeichnenden Kostüme erkennbar, zum Beispiel Kokoschka am roten Sakko, Kaffeehausliterat Altenberg am karierten Anzug, Richard Gerstl und Egon Schiele am Outfit ihrer Selbstportraits. Robert Gabdullin tanzt Arthur Schnitzler, der als Arzt (mit Stethoskop) und als Tod (mit Maske) immer wieder seinen Einfluss geltend macht.
Doch was man mittels des Tanzes transportieren könnte, nämlich den Charakter und die emotionalen Verbindungen der handelnden Personen wird in diesem Ballett weitgehend ausgespart. So ist die Bewegungssprache der einzelnen Rollen undifferenziert und es bleibt etwa unverständlich, warum das süße Mädel oder Wally Neuzil ebenso auf Spitze tanzen wie die feinen Damen der Gesellschaft.
Dieser „Reigen“ ist vielmehr ein aufwändiger Ausstattungsschinken. Große Bühnenbild-Tafeln teilen die Bühne horizontal und vertikal – auf ihnen sind Ansichten von Wien, Bilder von Klimt, Schiele und Kokoschka zu sehen, das beleuchtete Riesenrad überragt sie alle.
Die Pas de deux der Liebesszenen sind virtuos, aber lassen kalt, nur zwei Duos können fesseln. Großartig Nina Poláková als Mathilde Schönberg mit Arnold Schönberg (Roman Lazik) und anschließend mit Richard Gerstl (Denys Cherevytchko); anmutig Ketevan Papava als Alma mit Eno Peci als possessiver Gustav Mahler, der ihr Fesseln anlegt.
Auch alle anderen Rollen werden von den TänzerInnen des Wiener Staatsballetts sauber getanzt, und glänzend musiziert das Orchester der Volksoper unter der Leitung von Gerrit Preißnitz. Die Musik von Mahler, Schönberg, Berg, Zemlinsky, Korngold und Berg hat Béla Fischer mit Übergängen verbunden und mit einer eigenen Walzerkomposition ergänzt. Die Musikdramaturgie birgt all die Dramatik in sich, die man auf der Bühne vermisst. Zum stockenden Dreivierteltakt von Ravels „La Valse“ endet das Ballett in einem Totentanz.
Wiener Staatsballett: "Ein Reigen", Uraufführung am 29. April 2014, Volksoper Wien, weitere Vorstellungen am 2. und 26. Mai, 5., 20., 26. und 29. Juni. Am 6. Mai gibt es zu dem Thema die Lesung "Reigen-Variationen" mit Katharina Straßer, Robert Meyer und Boris Eder mit Auszügen aus dem Briefverkehr von Adele Sandrock mit ihren Liebhabern Arthur Schnitzler und Roda-Roda.