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Gelungenes sozio-politisches Tanztheater. In seiner bei ImPulsTanz im Wiener Akademietheater uraufgeführten Arbeit „John“ widmet sich der Altmeister des britischen Tanztheaters, Lloyd Newson, einer grausamen, aber berührenden Geschichte, wie sie das Leben schrieb. Soziales Theater fusioniert mit Tanz – was in diesem Fall erstaunlich gut funktioniert.

Lloyd Newsons DV8 Physical Theatre scheut weder Tabus, noch kontroversielle Themen. Für „John“ führte er 50 Interviews mit Männern zum Thema Liebe, Sexualität und Alter und stieß dabei auf die gleichsam faszinierende wie schockierende Geschichte eines Mannes, John. Aufgewachsen ist dieser in Heimen und auf der Straße, da sein Vater die Familie mit Gewalt bedrohte. Seine Mutter starb an einer Überdosis Heroin, ebenso einer seiner Brüder. Lloyd Newson erzählt Johns Lebensgeschichte und dessen Suche nach Liebe überzeugend, mit sieben Tänzern und zwei Tänzerinnen, auf einer sich unentwegt um die Achse bewegenden Drehbühne. Ein Wandverbau mit Zimmern und Türen (Bühne und Kostüm Anna Fleischle), dient als Schauplatz für Szenen in Wohnungen, auf der Straße, bei Gericht und in einer Gay-Sauna.

Ungeschönte männliche Sexualität. Im Verlauf von Johns-Leben kristallisiert sich - nach zahlreichen Liebes-Beziehungen zu Frauen - heraus, dass er homosexuelle Neigungen verspürt. Aber bei Ausflügen in die Männersauna stellt er fest, dass manche seiner Zeitgenossen Sexualität rein physisch interpretieren und wenig Interesse an Kommunikation und Partnerschaft zeigen. Newson lässt in manchen Szenen Original-Zitate einfließen, die – so John - davon zeugen, dass Aufklärung wenig Niederschlag in den Handlungen findet. Ungeschützter Geschlechtsverkehr scheint vereinzelt, trotz HIV-Gefahr, noch zuweilen als alleinige Chance zu Intimität propagiert zu werden. Newson, selbst homosexuell, reflektiert in seinem „Verbatim-Tanz-Theater“ Erscheinungsformen männlicher Sexualität ungeschönt, aber nicht ohne Humor. Wunderbare Contact-Improvisationen visualisieren und kommentieren die Erzählung dabei.

Performer Hannes Langolf, der auch als „Creative Associate“ der Produktion zeichnet, überzeugt in der Hauptrolle des John. Er spricht Passagen des Interviews und verkörpert den vom Leben gebeutelten Mann in einer Tanzsprache, die die Erzählung abstrahiert und gleichsam konzentriert, ohne dabei banalisierend zu wirken. So gehen Bühnendarstellung und Thema, trotz der Schwierigkeit, soziale Realitäten in einem künstlichen Setting auf eine Bühne zu bringen, wunderbar zusammen.

Physische und verbale Artikulationsfähigkeit. „Als ich älter wurde“, so Lloyd Newson, „kam ich an den Punkt, an dem ich mit meiner choreographischen Arbeit nicht mehr über die komplexe Welt um mich herum reflektieren konnte, ohne auch Worte zu benutzen. Es war mir nicht länger möglich.“ Wenn seine frühen Arbeiten reines Bewegungstheater waren, so sind seine letzten Arbeiten und auch „John“ Stücke, in denen er sich mit realen Lebensgeschichten auseinandersetzt. Aber: „Alle meine Performer müssen trainierte Tänzer sein. Ich brauche Performer, die ein hohes Körperbewusstsein haben. Ich habe viele höchst unterschiedliche Männer für John gecastet – auch ältere Männer, mit verschiedenstem Körperbau und Körperumfang, bis zu hohem Übergewicht. Aber keiner hatte die physische Artikulationsfähigkeit, die ich verlange. Mein Interesse liegt jetzt in der Interrelation von Text und Bewegung.“

Lloyd Newson hat mit „John“ eine beachtliche Arbeit geschaffen, die eine Brücke zwischen künstlerischer Darstellung und sozialen Realitäten baut, ohne die beiden Bereiche zu verflachen. Er schafft mit dieser Arbeit Tanztheater mit politischer Brisanz, das auch berühren kann.

Lloyd Newson/DV8 Physical Theatre: John, 9.8.2014, Akademietheater, www.impulstanz.com