Sie ist wieder da, die wunderschöne, einmalige Schwanenprinzessin, entflammt den Prinzen Siegfried mit ihrer guten, weißen Seite und noch mehr mit der bösen, schwarzen. Olga Esina ist von ihrer Verletzung genesen und eröffnet als Odette / Odile in Rudolf Nurejews Choreografie „Schwanensee“ die Ballettsaison an der Wiener Staatsoper. Ein Erlebnis.
Bevor das verzückte Schwärmen über die Tänzerin der Hauptrolle und ihre sämtlichen KollegInnen beginnt, muss gesagt werden, dass an dieser begeisternden Aufführung der Dirigent und das Staatsopernorchester, reichlich mit anmutig fiedelnden Damen durchsetzt, einen wesentlichen Anteil am Gelingen des Saisonauftakts haben. Der Belgier Koen Kessels ist zwar kein Debütant am Dirigentenpult der Staatsoper, doch mit Peter Tschaikowskis „Schwanensee“ hat er eine persönliche Wiener Premiere gefeiert. Und zum Feiern hatte er allen Grund, das war schon nach wenigen Takten der Ouvertüre hörbar. Einfühlsam, nahezu zärtlich im lyrischen Schwanenthema, gleich darauf bedrohlich und dramatisch, wenn die Bässe das Schicksalsmotiv anstimmen. So differenziert und nuanciert lenkt Kessels das Orchester den gesamten Abend. Ohne Hektik und Hudlerei, immer wieder den Blick auf die Bühne gerichtet, verwandelt er gemeinsam mit den MusikerInnen (besonders hervorzuheben, die Holzbläser) sämtliche Ohrwürmer in subtile, symphonische Musik, die Tänzerinnen und Tänzer mehr als nur begleitet, ihre Ausdruckskraft verstärkt, die Gedanken des Choreografen sichtbar macht und das Kunstwerk glühen und leuchten lässt.
Fortsetzung in Euphorie. Wie sehr die Aufführung unten im Orchestergraben das Geschehen oben auf der Bühne beeinflusst, ist erst zu spüren, wenn die beiden Ebenen zu einer Einheit verschmelzen. Auch Olga Esina, muss das gespürt haben. Sie ist die Schwanenprinzessin Odette schlechthin und eine Odile, die nicht nur Siegfried bestrickt, wenn sie mit lachendem Mund und blitzenden Augen, siegessicher den Kopf zurückwirft. Diese Odile muss nicht gurren und girren oder verführerisch verwirren, sie muss nur da sein. Sie weiß, dass sie bereits gewonnen hat. Ebenso weiß ihre weiße Schwester Odette, dass sie schon verloren hat, noch bevor sie sich nach Zaudern und Zögern diesem naiven Jüngling Siegfried anvertraut. Allein, die Esina ist auch als Odette keine Märchenprinzessin. Zwar verzaubert und bezaubernd, ist sie doch ein Wesen aus Fleisch und Blut, eine Verschleppte, Gefangene, vielleicht Gefolterte, eine Frau ohne Hoffnung im fremden Land. Zugleich wird sie, makellos in der Technik, apart im Ausdruck, der klassischen Rolle gerecht, anmutig, liebreizend und abgrundtief traurig. Vladimir Shishov hat schon in der vergangenen Saison immer wieder den Siegfried getanzt und ist in die Rolle hineingewachsen. Die Technik gelingt flüssiger, er kann sich Zeit nehmen auch Gefühle auszudrücken, auf seine Partnerin einzugehen. Die Pas de deux mit der Esina sind vollkommen, im 2. und 4. Akt so innig und zu Herzen gehend, dass das Publikum – oh angenehmes Wunder – sekundenlang mit dem Applaus wartet.
Die Entourage nicht zu vergessen. Es wäre nachlässig und ungerecht, nur das Hauptpaar zu beachten, gibt es doch in den eingestreuten Pas de trois, Pas de deux und Pas d’action genügend Andere zu bewundern. Zum Beispiel die beiden fabelhaften Gefährten des Prinzen mit ihren Damen: Alice Firenze, Kiyoka Hashimoto, Davide Dato und Masayu Kimoto möchte ich nach ihrem Auftritt gleich noch einmal sehen. Das gelingt auch: Firenze trippelt zum ersten Mal als vierte im Quartett der kleinen Schwäne mit Hashimoto, Maria Alati und Ioanna Avraam. Anhaltender Sonderapplaus!. Dato tanzt zum ersten Mal als Neapolitaner im 3. Akt mit Hashimoto und Masayu Kimoto feiert gemeinsam mit Avraam ein Doppeldebüt als Solistenpaar im polnischen Tanz. Firenze ist noch einmal in einer ihrer Glanzrollen als temperamentvolle Ungarin mit ebensolchem Partner Mihail Sosnovschi zu sehen. Natascha Mair buhlt neuerdings neben Alati, Eszter Ledán, Anita Manolova, Reina Sawai und Nina Tonoli als Edelfräulein um die Gunst des Prinzen und Alexis Forabosco macht als Neuling exzellente Figur als Spanischer Tänzer mit seiner bereits geübten Partnerin Oxana Kiyanenko beste Figur. Das Pendant-Paar: Andrey Teterin und Ketevan Papava.
Corps voll in Aktion. Schwung und Spannung gelingen diesmal schon im ersten Akt. Sanft gleiten die Paare im Walzer dahin, exakt wird die Polonaise getanzt, dann die gelungen Choreografie des Pas de quattre der Freunde / Freundinnen des Prinzen. Kessels, SolistInnen und das auch in den weißen Akten, exakt und synchron tanzende Corps machten es möglich, dass auch im ersten Akt, der ohne rechte Handlung auskommen muss, die so oft verspürte Langeweile geschwunden war. Zum guten Schluss: Endlich, endlich schlagen die Wellen des Sees wieder richtig hoch, auch Siegfried, nicht gerade zierlich, kann endlich stilgerecht versinken. Exakt mit dem letzten Ton sinkt Vorhang.Die Jubelrufe lassen ihn wieder hochgehen.
Rudolf Nurejew / Peter Tschaikowski: „Schwanensee“, Olga Esina / Vladimir Shishov / Eno Peçi. Eröffnung der Ballettsaison 2014 / 15 an der Wiener Staatsoper am 22. September 2014.
Nächste Vorstellung in der selben Besetzung am 30. September 2014.
Nächste Vorstellung mit Liudmila Konovalova und Denys Cherevychko am 27. September 2014. Wiener Staatsoper.