Mit dem Gastspiel der Komischen Oper Berlin und der hinreißenden „Zauberflöte“-Inszenierung ihres Chefs Barrie Kosky mit dem Team 1927 ( das sind die Regisseurin Suzanne Andrade und der Trickzeichner Paul Barritt) ist dem Festspielhaus St. Pölten eine großartige Saison-Eröffnung gelungen: künstlerische Innovation, Fantasie und perfekte handwerkliche Umsetzung stehen hier ganz im Dienste von bestem Entertainment.
Selten ist Oper so frisch, unbekümmert und witzig auf die Bühne gekommen wie in dieser Inszenierung, in der die SängerInnen in und mit einer Fantasiewelt, die Paul Barritt in seinen Animationsfilmen erschafft, interagieren. Aktionsfläche ist eine weiße Wand mit mehreren Öffnungen auf verschiedenen Ebenen aus denen die SängerInnen auf kleinen Plattformen herausgedreht werden. Viel Raum zum körperlichen Agieren haben sie darauf nicht, und dennoch lösen ihre kleinen Gesten jede Menge Aktion aus. Da wirft die Königin der Nacht, eine beängstigende, schwarze Riesenspinne, Messer durch den Raum, da sprießen Herzen überall, wenn die Liebe besungen wird, da findet ein Vogel auf einer Hand Platz, eine verirrte Biene bringt Papageno zum Zittern, ein Elephanten-Ballett stillt seinen Wunsch nach Wein und nach einem Mädchen oder Weibchen. Begleitet wird der bodenständige Vogelfänger stets von seinem treuen schwarzen Kater Karl-Heinz.
Im Stummfilm-Modus der 1920er Jahre erscheint Tamino als Buster Keaton, Pamina erinnert an ein Girl der Charleston-Zeit, Monostatos ist der personifizierte Nosferatu. Sarastro, der Weise wiederum ist von Maschinen begleitet, die von Zahnrädern, Gewinden und Hebeln in Bewegung gesetzt werden und Fritz Langs „Metropolis“ evozieren. Die Rezitativ-Dialoge werden durch Zeichensprache und Text-Inserts auf die wesentlichen Aussagen reduziert, nur Mozarts unsterbliche Arien bleiben unangetastet.
Bis heute ist die Handlung der „Zauberflöte“ ein Rätsel, das unzählige Male interpretiert wurde. Das Team der Komischen Oper Berlin hat auf psychologische Deutungen verzichtet und sich ganz auf den Aspekt der Liebe konzentriert. Man erfreut sich einfach an einem Märchen, das sich nicht durch Logik, sondern durch die Kraft der surrealen Fantasie erschließt.
Auch die Musik ist visualisiert. Beim Flötenspiel bedeckt eine Fee die Projektionsfläche mit Notengirlanden. Beim Glockenspiel erscheinen Figuren in roten Kleidern, die wie ein weiblicher Turnerbund mit Strapsen anmutig zu harmonischen Formationen zusammenfinden. Das alles bringt uns zum Staunen wie kleine Kinder, und lässt uns die Musik wie neu erleben.
In der St. Pöltner Aufführung musizierten das Residenzorchester des Hauses, das Tonkünstlerorchester Niederösterreich unter der Leitung der Ersten Kapellmeisterin der Komischen Oper Berlin, Kristiina Poska solide, wenn auch nicht sehr klangdifferenziert. Von den SängerInnen konnten besonders Tom Erik Lie als Papageno und Dimitry Ivashechenko als Sarastro überzeugen. Karolina Anderssons (Ensemblemitglied der Volksoper Wien) weiche Sopranstimme wird auch in den hohen Koleraturen der Königin der Nacht nicht schrill. Köstlich die Drei Damen (Mirka Wagner, Karolina Gumos und Caren van Oijen), die hier Frau Schwatz, Klatsch und Tratsch heißen. Adrian Strooper und Brigitte Geller sind das bezaubernd jung-naive Liebespaar Tamino und Pamina, das nach einem Prüfungsmarathon endlich zueinander finden darf. Der Schönberg Chor ist auch an diesem Abend ein durchwegs wohl tönender Klangkörper (Einstudierung: Jordi Casals).
Mit dieser Inszenierung hat das Team 1927 sowohl neue Maßstäbe in der Opernregie als auch für Animationsfilme gesetzt. 2013 wurde die Gruppe, die 2007 beim Edinburgh Fringe Festival ihr Debüt gab, mit zwei World Opera Awards ausgezeichnet. Zuletzt wurde die „Golem“-Inszenierung von Suzanne Andrade und Paul Barritt bei den Salzburger Festspielen ebenso hymnisch aufgenommen wie die „Zauberflöte“ in Berlin und auf ihren Tourneestationen rund um die Welt. Mozart hätte wohl auch seine Freude an seiner fantastischen Oper im Spirit des 21. Jahrhunderts.
Komische Oper Berlin / Tonkünstler-Orchester Niederösterreich: "Die Zauberflöte" am 27. September 2014 im Festspielhaus St. Pölten