In Zeiten sich epidemisch ausbreitender Selbstoptimierungs- und Selfie-Manie lässt sich Chris Haring für den dritten Teil seiner „Imploding Portraits Inevitable“-Reihe noch einmal von Andy Warhols frühen filmischen Arbeiten inspirieren. Drei Tänzerinnen verlieren sich in rauschhaften Partys mit immer grotesker werdenden Bildern, die sie wie im Wahn von sich selbst produzieren. Harings Blick in psychedelische Innenwelten taucht tief in die Abgründe einer sich stets selbst observierenden, egozentriert gepolten Welt.
Schatten und blendend weißes Licht. Waren bei den ersten Teilen seiner Warhol-Reihe - „Shiny, Shiny...“ und „False Colored Eyes“ - die Filmbilder auf der Bühne in Pop-Art-Farben getränkt, so erweist Haring mit seinem Liquid-Loft-Team diesmal dem Film Noir mit seinen Schwarz/Weiß-Kontrasten seine Referenz (Licht-Design, Szenographie: Thomas Jelinek und Komposition, Sound Design: Andreas Berger). Vor projizierten, immer größer werdenden, Scheinwerfermonden etwa stehen Stephanie Cumming, Katharina Meves und Karin Pauer als mondäne Frauen, während dunkle Schatten eine Straßenschlucht ins Zwielicht tauchen. In seinem dritten Teil der Reihe, die Warhols multimediale Happenings „Exploding Plastic Inevitable“ zitiert , bestimmt weibliche Selbstdarstellung die Szene. Als Inspirationsquelle dient ein Andy-Warhol-Star dieser Disziplin, die transsexuelle Schauspielerin Candy Darling.
Mutantinnen und Gnome. Die Darstellerinnen werden wie Motten ans Licht der Scheinwerfer und zu den Kameras auf der Bühne gezogen. Dort ergießen sie sich in Redeschwällen, singen, verfallen in zuckende Tanz-Moves und in Lach-Weinkrämpfen oder starren einfach kindlich trotzig. Ein gnadenloses Spiel mit optischen Verzerrungen und der Einsatz von Splitscreens erzeugt auf der Bühne Mutantinnen, die nur aus Beinen bestehen, böse stampfende Gnome oder Körper die sich förmlich aufblähen, vor lauter gieriger Nähe zur Kamera. Stets erfinden sich die Frauen neu, auch im Blick auf ihre eigene Religiosität - sie werden zu Göttinnen, die ihre Spiritualität wie ihren Kopfschmuck anlegen und abnehmen.
Chris Haring, mit seinem genialen Liquid-Loft-Team, schafft es einmal mehr, auf der Bühne eine faszinierende Welt von mutierten Wesen herzustellen, die mit technischem und medialem Gerät und ihren Reproduktionen untrennbar verwachsen. Während die ersten beiden Teile der Reihe ästhetisch noch sehr nahe beieinander liegen, bringt Haring mit „Candy`s Camouflage“ völlig neue Farben und Klänge ins Spiel. Und trotz aller Warhol-Zitate und ausgefeilter Film-Noir-Ästhetik, bleibt ein Bezug zu heutigen Themen, der Liquid Lofts Arbeit einen abgründigen Tiefgang beschert und Harings Bedeutung unter den wichtigsten österreichischen Choreographen stets neu unter Beweis stellt.
Chris Haring / Liquid Loft “Candy's Camouflage”, 5. August 2016 im Akademietheater im Rahmen von ImpulsTanz, weitere Vorstellung am 7. August,