Die zehntägige Veranstaltung „Intakt“, die heuer zum 2.Mal an unterschiedlichen Aufführungsorten in Graz stattfand, definiert sich im Untertitel als „Inklusives Tanz-, Kultur- und Theaterfestival“. Dahinter steht eine klare Zielsetzung; freilich eine, deren Inhalt noch (?) in keiner Weise selbstverständlich ist: Das Neben- und Miteinander von Menschen jeglicher Herkunft oder Prägung, von Menschen, denen kulturelle und künstlerische Ausdrucksformen und deren Präsentation ein Anliegen ist.
Zahlreich waren die Angebote für Interessierte jeden Alters, sich im Rahmen von Workshops in den Bereichen Tanz, Musik und Theater aktiv zu beteiligen. Bemerkenswert gut und informativ – auch weil breit gefächert - waren die Auswahlmöglichkeiten auch für das Publikum; vor allem für eines, das einerseits und „logischerweise“ (denn auch die Abgrenzung Publikum-Künstler ist manchmal eine Ein-bzw. Ausgrenzung) interaktions- und andererseits diskussionsbereit war.
Eröffnet wurde die Programmpalette mit „Kein Stück Liebe“, einer Steiermark-Premiere der Wiener „Ich bin O.K. Dance Company“. Die hier an den Beginn gestellte Erkenntnis: „Das Problem mit den anderen ist, dass sie anders sind“ wird von den elf AkteurInnen mit und ohne Beeinträchtigung anhand kleiner Szenen abgeklopft: mit großem Ernst, manchmal hilfesuchend, immer wieder unverdrossen und oft mit Humor: Alltags-Szenen, die immer und überall möglichen sind: Bis am Ende der Vorstellung das Anders-Sein kein Problem mehr ist, sondern eine selbstverständliche, allgemein zu unserem Leben gehörende Tatsache, die zwar unter Umständen herausfordert, aber auf jeden Fall und jeden Beteiligten bereichert.
Nach dieser auflockernden Annäherung, nach diesem entspannenden Einstieg war Offenheit gegeben auch für Schwierigeres zu diesem Thema. Etwa für Mareice Kaisers Lesung aus ihrem ersten Buch „Alles inklusive“, in dem sie sich in geradliniger Sprache mit dem Leben ihrer mehrfach beeinträchtigten Tochter auseinandersetzt. Unverblümt selbstkritisch stellt sie sich den Inhalten, ohne dabei je ins Larmoyante zu geraten. Vielmehr ist da immer wieder, allem zum Trotz und entsprechend berührend kraftvolle Lebensfreude zu spüren: Ansteckend und stark in der Wirkung auch ihre berechtigte Sozialkritik.
Als Österreichpremiere lief Frank Amanns außergewöhnlicher Film „Shot in the dark“. Eine Dokumentation über…, nein: eine künstlerische Annäherung an… drei international erfolgreiche Fotografen mit Sehschwäche; eine empathische Annäherung an Lebenskünstler, die ihre Defizite mit künstlerischer Sensibilität und Kreativität zu kompensieren verstehen. (Im Rahmenprogramm zum Film gab es auch eine Ausstellung einiger ihrer Werke.) Amann gelingt es, die kaum nachvollziehbare Fähigkeit des inneren „Sehens“ von Blinden ein wenig begreifbar und im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar zu machen. „For all people who don’t want to give up their visions.”
Zum ersten Mal in Österreich auch die aus Deutschland kommende Theatergruppe BwieZack mit ihrem partizipativen Stück “zwei oder mehr” für Hörbeeinträchtigte wie Hörende ab 8 Jahren und Erwachsene. Gleichermaßen durchstrukturiert wie improvisiert wird in dieser kreativen Umsetzung von gemeinsamem Tun beim „Kreieren einer Geschichte“ Interaktikon tatsächlich einmal stimmig realisiert. Kaum einer tut da nicht voller Neugierde und Begeisterung ganz selbstverständlich mit – und merkt - ganz besonders auch im Nachhinein -, was er da alles erfahren hat über sich selbst und sein ganz natürliches Interesse an und für einander. Erlebenswert für alle Altersklassen.
Vergleichbares an locker und doch wohldurchdacht aufbereiteten Erkenntnissen und vorbereiteten Selbsterfahrungen war im Projekt "Fremd" der Megaphonuni in Kooperation mit dem TaO! zu erleben. Menschen, so unterschiedlich wie sie nun einmal sind, versuchen sich einerseits in Selbstpräsentationen abzugrenzen, andererseits in vorsichtiger Annäherung in eine Gruppe einzufügen: ein Alltagsverhalten von jedermann, für alle. Die Bühnenakteure machen dies derart natürlich und untheatralisch (prächtig diskret geleitet und geführt von Regisseur Manfred Weissensteiner), dass die vierte Wand bald nicht mehr existiert, dass man unversehens in den Spiegel schaut, sich arglos selbst mittendrin empfindet, sieht und hört (ganz konkret auch tatsächlich durch die großartige Idee in Form vorgelesener Fragen, die jeder Zuschauer vor Aufführungsbeginn schriftlich formulieren konnte). Anhaltender Applaus aus dem randvollen Zuschauerraum.
Initiiert und organisiert wird dieses Festival vom gemeinnützigen Vereine IKS, der inklusive Kultur- und Sportangebote insbesondere für Kinder und Jugendliche mit dem Ziel veranstaltet, unterschiedliche Personengruppen zusammenzuführen, um Berührungsängste erst gar nicht entstehen und Vorurteile erst gar nicht aufkommen zu lassen. Den beiden Hauptverantwortlichen, Christoph Kreinbucher, organisatorische Leitung und Idee, und Lina Hölscher, künstlerische Leitung, kann man zu ihrem Tun nur gratulieren und für das Publikum hoffen, dass dieses Veranstaltungsformat eine Fortsetzung erfährt sowie weitere, noch größere Kreise von Interessierten erreicht.
InTaKT: „Kein Stück Liebe“, Schauspielhaus Graz, Haus 2 am 9.November 2017; „Alles inklusive“, GrazMuseum; 15.November 2017; „Shot in the dark“, Universalmuseum Joanneum, 14.November 2017; „zwei oder mehr“, Studiobühne Opernhaus, 17. November 2017; „Fremd“, Theater am Ortweinplatz, 18.November 2017