Dieses „Internationale Theaterfestival für junges Publikum“ zeigt sich in seinem 7.Outfit in ganz besonders gut gelungenem Farbenspiel. Denn auch wenn hier und jetzt „nur“ von 6 der 13 gezeigten Stücke aus 10 Ländern erzählt wird (vom Festival im Festival „spleen*trieb“ und anderen spleenigen Aktionen also abgesehen): die inhaltlich wie formal breite Palette gewährt beste Einblicke in heutiges, in dynamisches Theater.
Außer-gewöhnliches Theater: Weil die Perspektiven keine alltäglichen sind und weil das zeitimmanente Cross-Over nicht auf draufgedruckter Aktualitätsschiene daherkommt. Auf dieser Basis sieht man daher auch sehr gerne über nicht durchgehend ganz Perfektes hinweg. Etwa über gewisse Leerläufe im ansonsten recht schwungvollen und für sich sprechenden Tanz bei der Eröffnungsproduktion „Bounce“ der französischen Compagnie Arcosm; ist doch ihr individueller Umgang mit der behandelten Thematik, mit der Auseinandersetzung rund um bedrohlich Unbekanntes, erfrischend abstrakt, dennoch (be)greifbar und letztlich eindringlich - für Jung und Alt. Und an dieses, an ein altersunspezifisches Publikum, richtet sich ja explizit die konzeptuelle Stückauswahl der beiden Festivalleiter Hanni Westphal und Manfred Weissensteiner.
Auch das Performancetheater mit Musik und Tanz, „C…Wie Chamäleon“ (Toihaus Theater, Salzburg) bedarf etwa noch einer Überarbeitung, um einer reizenden Grundidee für die Kleinsten (ab 2+), die von der grenzenlosen Welt der Bücher ausgeht – visualisiert mittels Riesen-Klappbuch – etwas mehr an pfiffiger, mitreißender Ausstrahlung zu geben; aufmerksam mit dabei war die mucksmäuschenstille Kinderschar aber allemal.
Dies gilt erst recht für die bei „Ein Stück teilen“ (nominiert für STELLA 17) der 2010 in Wien gegründeten Kompanie Freispiel. Da geht es zwar anfangs nur „ganz simpel“ darum, wie man etwa einen Tisch oder eine Süßigkeit unter drei Freunden aufteilt; aber schon beim Geldschein wird es etwas heikler – wenngleich (scheinbar) immer noch ignorierbar. Allein, wenn es dann um abstrakte Werte wie Aufmerksamkeit geht, beginnen die eigentlichen Probleme: Mit einem auf das Wesentliche reduzierten Spiel mit Schachteln gelingt es dem Team, auch für ihr ganz kleines Publikum (5+) immer interessant zu bleiben und zweifellos ihnen so manches an Wichtigem bewusst oder gar verständlich zu machen. Es gelingt durch größtenteils konsequente Reduktion der eingesetzten Mittel wie durch die ausnahmslos gegebene, glaubhafte Bühnenpräsenz der Darsteller Siruan Darbandi, Keno Meiners, Kajetan Uranitsch und ihrer „unsichtbaren“ Mitspielerin und Helferin Barbara Juch.
„Pink for Girls and Blue for Boys“, ein Tanztheater der Basler Choreographin Tabea Martin, greift ins Volle zeitgenössischer Thematik: in das von Genderfragen und Genderidentität; auch formal tut sie das – dank der darstellerischen Spielkraft ihrer vier InterpretInnen. Einerseits, weil diese sich auf ein gutes, akrobatisches Bewegungsrepertoire stützen können (weniger überzeugend auf das tänzerische) und vor allem, weil sie mit humorvollem, größtenteils sehr präsentem Charm und Witz brillieren und überraschen – womit (auch) sie Jung und Alt nahezu ausnahmslos erreichen. Ein ausgewogenes Mit- und Nebeneinander von provokant Hinterfragendem, von Um-die-Ecke-Denkendem so wie Unterhaltsamem prägen den Großteil der Aufführung mit mehrfach amüsant kreativen Wendungen; insbesondere überzeugt die sehr individuelle Leichtigkeit der Performance, weniger ihre Tiefe, die im etwas langen Abschlussteil dann endgültig abflacht – bei aller mutig-spaßigen (Verkleidungs-)Kreativität.
„Onbekend Land“ von Het Houten Huis/Oorkaan /Nordland Visual Theatre /Niederlande ist als eine von zwei hervorragenden Beispielen interdisziplinärer Produktionen anzuführen: Das poetisch-traumhaft Visuelle ist eingebettet in ein Meer an Live-Klängen der ganz besonderen, der kreativsten Art. Derart „getragen“ sieht man sich mit harter (Migranten-)Realität konfrontiert; feinfühlig diskret, aber auch unverblümt; hin und wieder ein wenig Romantik und Humor zum Durchatmen. Ein kompaktes, ein berührendes Stück künstlerisch aufbereiteter Lebenserfahrung vieler: allein das versöhnliche Ende nimmt der Allgemeingültigkeit des Erlebten etwas an Kraft.
Aus Norwegen, Tschechien und Großbritannien kommen die Mitglieder der Gruppe NIE (New International Encounter), die ihr „Museum of Memories“ seit 2012 weltweit etwa 450 Male gezeigt haben; eine wenig verwunderliche Tatsache, sobald man diese Produktion selbst einmal gesehen hat: dieses lustvoll-charmante „Schauspiel“ (Regie: Kjell Moberg), wie sie es bezeichnen; dieses hochmusikalische Gesamtkunstwerk (Live Musik: Helder Deploige), wie es das Publikum unmittelbar in und zwischen „Erinnerungsboxen“ (Bühne: Katja Ebbel Frederiksen) erlebt, deren einzelne Laden mit hinreißender Leichtigkeit und ebensolcher Ernsthaftigkeit von den DarstellerInnen (Kieran Edwards, Guri Glans, Iva Moberg, Dagfinn Tutturen) geöffnete werden, um kleine und große Dinge zum erinnerten Leben zu erwecken. Arrangiert um die Erinnerung an einen Toten und um die Frage nach dem Wahrheitsgehalt eben dieser damit verbundenen Bilder, Gedanken, Empfindungen – abwechselnd umgesetzt in Form von Erzählungen und darstellendem Spiel … aus den zum Großteil divergierenden, ja widersprechenden Perspektiven der Beteiligten. Und doch sind es eben diese Erinnerungen, die unser Jetzt formen, dieses individuell gestalten (derart kurz in einem Monolog eindringlich verbalisiert).
Die großartige, tief unter die Haut gehende Energie dieser Produktion schöpft ihre Kraft nicht nur aus der Summe des Könnens der Künstler und aus der der perfekten Einzelteile, sondern aus der Authentizität von allen und jedem; und schließlich aus einer nie erdrückenden, aber außergewöhnlichen Dichte.
spleen*graz, 7. bis 12.Februar 2018 an 6 Grazer Bühnen; www.spleengraz.at