Der steirische herbst 2018, der mit diesem Wochenende abschließt, war sowohl inhaltlich wie auch strukturell ein sehr anderer: Haben doch Ekaterina Degot und ihr Team den Wechsel zu ihrer Intendanz in beabsichtigt markanter Weise vollzogen. Bezüglich Veranstaltungsorte konzipiert als weitläufiger Parcours, lag der Schwerpunkt auf dem Bildnerischen und sollte außerdem, jedenfalls das Kernprogramm „Volksfronten“ betreffend, als Gesamtes erfahren und gesehen werden.
Diese Intention unterstützte neben zahlreichen freien Eintritten ein wohlfeiler Festivalpass. Und die Inhalte, die viel an Politischem transportierten, scheinen, geschuldet den globalen Umschichtungen und den daraus resultierenden Unsicherheiten in der Gesellschaft, mehr als in den letzten Jahrzehnten den Menschen ein drängendes Anliegen zu sein, das dementsprechende Aufmerksamkeit verursachte: Bis Freitag vor dem letzten Festival-Wochenende konnten 45.000 Besucher gezählt werden und diese waren laut einer Umfrage zu 84% mit dem Programmatischen zufrieden. Knapp 50% von ihnen waren zum ersten Mal dabei und wollen zu 93% wiederkommen. Auffallend war überdies ein im Vergleich zu bisher prozentuell hoher Anteil an Jugendlichen.
Wenig verwunderlich, dass sich Degot bei der ersten Abschluss- Pressekonferenz (12. Oktober) persönlich zufrieden zeigte, auch wenn sie, bei allem grundsätzlichen Festhalten am eingeschlagenen Kurs für das Festival im nächste Jahr (19. September bis 13. Oktober 2019), Verbesserungswürdiges einräumte. Das diesjährig Programm sei ein Experiment gewesen und, wie sie schon mehrfach betont hatte, eine Prologausgabe. Naheliegend, dass also der kritischen Schärfe in Beurteilungen und in Rezensionen der Programme (das Medieninteresse, auch das internationale, war außergewöhnlich hoch) derart die Spitze genommen wurde.
Dies betrifft allerdings, weil unnötig, in keiner Weise die Performance „Touching on Everything“, die der 1971 in Washington geborene Michael Portnoy im Auftrag des steirischen herbst kreiert hatte und gemeinsam mit seinem großartigen Team (Marcus McKenzie, Katharina Meves, Magdalena Chovaniek,) zum Besten gab: Ein weltenumfassend absurd-groteskes Gebilde aus Ideen, Konzepten und Zusammenhängen der höchst amüsanten, aber doch auch tiefgründig-intelligenten Art. Da derartiges auch von den fähigsten Künstlern kaum in einer einstündigen Vorstellung auf der Bühne schlüssig umgesetzt werden kann, purzelt so manches an Unverständlichem, verpackt in zahlreiche Darstellungstechniken, postdramatisch-augenzwinkernd über die Rampe; aufgebaut auf einer gleichermaßen dokumentarischen wie fiktiven Hintergrundsgeschichte, die von einem jüdischen Autor berichtet, dessen Text zum Großteil verloren, aber doch in einem, ob seiner Güte ausbaufähigem Teil erhalten, in Graz gefunden, ergänzt und hiermit theatral umgesetzt werde. Kunterbunt wie es das Leben oder eben auch allegorische jiddische Volksmärchen erzählen: Von der Gerechtigkeit und der Begierde, von der Wahrheit und der Politik, der Wirtschaft und den Machenschaften. Kurz von allem, was von Kunst an Erklärung von und zu allem eben erwartet wird. Großartig! Schade lediglich, dass so manch charmant-humorvolles Detail des englischsprachigen Textes wegen fehlender Untertitelung für den einen oder anderen verlorenging.
Dass von einem Beispiel für den nicht unwesentlichen Programmpunkt des Diskursiven allerdings auch wenig überzeugt berichtet werden muss - bei aller situationsbedingt positiven Grundeinstellung - zählt nicht zu den „alternativen Fakten“, sondern ist Faktum. Angekündigt als „Conchita vs. Gabalier. Von der ‚Insel der Seligen‘ zur illiberalen Demokratie? Österreich zwischen Demokratie und Moderne, zwischen Verschwinden und Wiederkehr. Ein Heimatabend“ und besetzt mit so klingenden Namen wie Olga Flor, Gerhild Steinbuch, Kathrin Steiner-Hämmerle sowie dem Ex-Politiker Gerald Grosz, ließ die Podiumsdiskussion unter der Leitung von Colette M. Schmidt Interessantes erwarten.
Abgesehen von einem unkommentiert halbstündig verspäteten Beginn, bestand die zweieinhalbstündige Veranstaltung zu etwa 2/3 aus Gesprächen über Dirndl-Bekleidung und einer zu langen, für das vorgegebene Thema viel zu detaillierten, vorgelesenen Präsentation von Recherchen zu eben dieser. Sehr schade, dass das virulente Thema der Veranstaltung derart weitgehend unterging und außerdem zu einem nicht unwesentlichen Teil von und für Statements des ehemaligen Politikers genutzt wurde. Wieviel zu diskutieren gewesen wäre, kam nur kurz und vor allem durch Olga Flor und Steiner-Hämmerle zum Tragen, die als Tupfen auf dem Veranstaltungs-I vermerkte, dass schon der Titel einen Fehler beinhalte, da man schließlich nicht von einer „illiberalen Demokratie“ sprechen könne.
Nichtsdestotrotz kann man in Summe selbstverständlich auf die nächstjährige Veranstaltung, die weiterhin politisch sein werde und (wie seit Jahren für das Festival üblich) die Steiermark für Veranstaltungen inkludieren soll, erwartungsvoll gespannt sein.
Michael Portnoy “Touching on Everything“am 12. Oktober; „Conchita vs. Gabalier. Von der ‚Insel der Seligen‘ zur illiberalen Demokratie? Österreich zwischen Demokratie und Moderne, zwischen Verschwinden und Wiederkehr. Ein Heimatabend“ am 13.Oktober. Beide im Orpheum im Rahmen des steirischen herbst 2018