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Jewels Rubies EnsembleBalanchines „Jewels“, ein gut abgehangenen Dreiteiler aus dem Jahr 1967 hat weder Inhalt noch Spannungsbogen. Das Ballett lebt nur aufgrund seiner farbig glitzernden Formen. Eigentlich gefährlich langweilig, wie Auslagen unbezahlbarer Klunker. Aber: Das Wesen der Virtuosität ist ihre Selbstverständlichkeit. Bei Ballettgeschichten wie „Onegin“ sind es Interpreten, die sie lebendig werden lassen. Genau das hat das Bayerische Staatsballett in der Ballettfestwoche jeweils sensationell umgesetzt.

Jewels

Gruppen, Trios und Paare – alle sind wunderbar aufeinander eingespielt, zusätzlich angefeuert von drei in ihren Parts überwältigenden Gästen. Schon bei „Emeralds“ zu Musik von Gabriel Fauré wird jegliche romantische Verschlafenheit einfach weggewischt. Fortgeweht wie das Premierenlampenfieber. Mehr noch als die juwelenbesetzten Kostüme funkeln hier mittlerweile die Persönlichkeiten selbstbewusster Interpreten. So gelingt der Kompanie der Coup, sich über die Leere des vermeintlich ohne Charaktere auskommenden Stücks hinwegzusetzen. Und aus der an sich trockenen, technisch tückischen Juwelenschau ein Fest klar ausformulierter Schönheit und emotionaler Geometrie zu machen.Jewels Emeralds Ensemble

Das ultimative Feeling von Easy-going in einer neoklassischen Partie demonstrierte Ashley Bouder. Die Erste Solistin des New York City Ballet – ein sportives Kraftpaket mit nicht zu unterschätzendem Temperament und körperlicher Bungee-Seil-Qualität (eine Überraschung für alle, die meinen, Ballettchef Igor Zelensky sucht Einheits-Tänzer von der Stange!) – gab in „Rubies“ (Musik: Strawinsky) ihr fulminantes Hausdebüt.

Jewels Bouder GouneoKünstler brauchen ihre Zeit, um das so hinzubekommen! Doch in München arbeiten momentan unübersehbar viele daran, sich derart eigenwilligen Weltbesten an die Fersen zu heften. Auf die frechen, nie den Blickkontakt abreisen lassenden Aufforderungen seiner katzenkrallig-jazzigen Partnerin zu einem Duell unter Virtuosen wusste Osiel Gouneo jedenfalls mit stets grandioser Lockerheit zu antworten. Der Spaß endete in heftigem Jubel.

Überhaupt wurde man den Eindruck nicht los, dass „Jewels“ zu tanzen den Tänzerinnen und Tänzern enorme Freude bereitet. Schließlich kann man sich darin ziemlich verausgaben. Möglichst ohne dem Publikum etwas über die physische Anstrengung hinter dem hübschen Schein zu verraten. Alina Somova ist seit 2008 Erste Solistin am Mariinsky-Theater. In „Diamonds“ zu Tschaikowskys 3. Sinfonie forderte sie Vladimir Shklyarov als eiskalte Schneekönigin heraus. Hartnäckigkeit, dachte sich dieser, ist des noblen Schmachters Lohn.Jewels Diamonds Ensemble

Shklyarov – die erste Saison unter Igor Zelensky sogar festes Ensemblemitglied in der Landeshauptstadt – kommt oft und gern nach München. Stets mit einer brillanten Rollenausgestaltung im Gepäck. Nun aber übertrafen die beiden sich selbst und krönten „Jewels“ solistisch und als Paar. Fein geschliffene Diamanten auf dem Gipfel ihres Könnens. Der perfekte Glanz- und Höhepunkt zum Beginn der diesjährigen Repertoireschau.

Onegin EnsembleOnegin

Von den Interpreten geht alle Energie aus. Sie entfesseln die Impulse, die beim Publikum ankommen. Oder im Idealfall einfach über die Rampe schwappen und den Zuschauer regelrecht mitreißen – so aus dem Hier und Jetzt in das heftige innere Ringen einer megastarken Tatjana, die ihre jugendlich-romanhaften Vorstellungen von Liebe eingetauscht hat gegen eine tiefergehende Beziehung von gegenseitigem Respekt.

Mit diesem – eigentlich selbstverständlichen – Statement ist Ballettchef Igor Zelensky in München als Direktor des Bayerischen Staatsballetts angetreten. Und er hat – bisher ohne Ausnahme – bei jeder Werkeinstudierung Recht damit behalten. Genau wie mit seinem Wissen, welches Vokabular sich am besten zum Aufbau einer jungen Kompanie eignet, um auch fit für ganz moderne Anforderungen zu werden. Mit ein Grund wohl, dass der bei großen Ensembles üblicherweise erwartete Schnitt von 50:50 zwischen Klassik und Moderne bzw. Uraufführungen noch kein Zielfaktor der nächsten Spielzeit ist.Onegin Vyskubenko Summerscales

Für tragende Partien stehen junge Neuanwärter mittlerweile Schlange. Darunter Solist Dmitrii Vyskubenko, der 2016 als Ensemble-Jungspund loslegte und nun, astrein charaktersicher, an der Seite der fabelhaften Laurretta Summerscales als Lenski sein Debüt geben durfte – neben dem überragenden Ballettfestwochen-Gastpaar Natalia Osipova und David Hallberg (ehemals erster amerikanischer Principal des Bolschoi-Balletts). Eine Vorstellung, für die man gern auf Gastspiele anderer Kompanien verzichtet. Bringt ja nix, bloß der Tradition wegen zu meckern. Zelensky nutzt mit dem Bayerischen Staatsballett eben jeden der zugeteilten Aufführungstermine selbst.

Über mangelnde Zuckerstückchen kann man sich dieses Mal wirklich nicht beklagen! Zwar musste Ivan Vasiliev, weil verletzt, in „Der Widerspenstigen Zähmung“ absagen. Stattdessen konnte man einen bestens aufgelegten Yonah Acosta als Petrucchio erleben. Mit irren Sprüngen so hoch und weit, dass man um sein sicheres Wiederaufkommen schier bangen musste. Am 17. April tanzen dann noch Vladimir Shklyarov und seine Frau Maria Shirinkina vom Mariinsky Ballett (sie waren 2017 Münchens Premierenbesetzung!) die Hauptrollen in Wheeldons „Alice im Wunderland“.

Onegin Osipova Hallberg1Was aber machte nun die 259. Vorstellung von John Crankos „Onegin“ am Freitag in dieser seltenen Besetzung zu etwas ganz Besonderem? Am Ende konnte man den Eindruck gewinnen, dass John Neumeier mit seinem Versuch (es gibt ihn auf DVD), den Fokus aus Puschkins „Onegin“-Literaturvorlage überzeugend in eine Ballett-„Tatjana“ umzumünzen, letztlich gescheitert ist. Denn obwohl Crankos Tanzversion der Geschichte nicht die weibliche Hauptprotagonistin im Titel trägt, bei Osipovas drastischer Rollengestaltung müsste es eigentlich so sein.

David Hallberg als Onegin ist ein Spitzeninterpret von nobler Gestalt mit Leidenschaft für scharfe Facetten im Ausdruck. Dass er seinen Onegin stilsicher durch jeden der drei Akte navigiert, steht außer Frage. Mit sich selbst ebenso wie mit einer ihm als piefig aufstoßenden Landgesellschaft im Unreinen, verleiht er den unheilvollen Stimmungsschwankungen und Provokationen seiner Figur souverän Nachdruck. Er bekommt es mit einer Ballerina zu tun, die man in puncto Ausdrucksfuror als Heavy-Metal-Queen der Ballettklassik bezeichnen könnte.Onegin Osipova Hallberg

Das Fernglas verrät es: Natalia Osipova bewegt ihre Lippen, in entscheidenden Momenten spricht sie stumm beim Tanzen. Cranko selbst hatte das seinen Protagonisten geraten. Ihre heftig daherkommenden Interpretationsnuancen schöpft sie aus dem Fundus „Lebensrealität“. So schmachtet und leidet ihre Tatjana körperlich laut. Sie sehnt sich nach Liebe und schreit mit ihren Bewegungen. Es schmerzt beim Zusehen. In den Pas de deux mit Hallberg – ihrem nach dem Bruch mit Sergei Polunin derzeit auserwählten Tanzpartner – wetzen sich Blicke wie Klingen. Über technische Herausforderungen sind beide sowieso erhaben. Das Publikum war aus dem Häuschen. Nicht enden wollender Applaus.

Bayerisches Staatsballett „Jewels“ am 11. April 2019 im Nationaltheater München. Weitere Vorstellungen am 21. April, 4. Juli. „Onegin“ am 13. April.
Die Ballettfestwoche läuft noch bis 18. April.

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