Veza Fernández rief, und alle sind gekommen. Einige auch auf der Bühne. Die queer-feministische Gemeinde feierte eine ihrer Ikonen, die Premiere ihres jüngsten Stückes „Amadora Llama“ (or the loving flame is also the lover that calls) und sich selbst im Tanzquartier Wien. Von der sexuellen in die religiös-mystische Ekstase und wieder zurück bewegte sich die PerformerInnen-Gemeinschaft, und die der queeren Mitmenschen rückte wieder ein wenig enger zusammen.
Sie sitzen alle schon auf der weiß unterlegten Bühne, die Beine angewinkelt und mit geschlossenen Augen. Und ganz langsam öffnen sich die Münder. Ganz langsam. Mit dieser Geschwindigkeit steigern sie sich hinein in einen individuellen Orgasmus. Zuckend und stöhnend geben sie sich hin, auf der riesigen Leinwand im Hintergrund ziehen die Wolken am Himmel. Der Speichel tropft in langen Fäden aus den Mündern, ehe die zwei Männer beginnen, ein Paar zu bilden. Auch die sieben Frauen suchen einander, bald keuchen bunt gemischte Grüppchen, lassen nun auch sehen, wie die hellblau-graue, in der Frontansicht eher bieder wirkende Kostümierung erotisch gepimpt wurde: tiefe Rücken-Ausschnitte, Lackstiefel und -socken, Gummischürzen, Ketten und Seile um manchen Oberkörper. Aus dem Stöhnen wird Gesang, vom mono- zum polyphonen. Aus dem Einen wird harmonierende Vielfalt, die erotische Verzückung wird zur religiösen. Marta Navaridas weint, und man glaubt es ihr. Einen kurzen Moment nur braucht Robin/Hugo Le Brigand, um mit der einzigen getanzten Sequenz zu verzaubern.
Ana Threat, Musikerin und Performerin, nähert sich gemächlich der links hinten stehenden elektrischen Uralt-Orgel im Holz-Gehäuse, viel älter wohl als sie selbst, drückt ein paar Akkorde im Vintage Vibrato-Sound. Als riesiges Bild wird der Schatten dieser singenden Gott-Mutter in die ziehenden Wolken geworfen, rechts unten sitzen die Schemen ihrer JüngerInnen und lauschen. Sie trällert den alten Mann im Himmel von seinem Thron. Diese sanfte Revolution, eine Schlüssel-Szene.
Ihren Orgel-Klang verzerrt sie. Und zwei Frauen klatschen spanische Rhythmen, alle schauen zu. Eine Reihe kniender Menschen bildend, sprechen sie im Chor: „Teresa machte Gott zu ihrem Gefangenen, was ihr Herz befreite und eine solche Leidenschaft in ihr entfachte, dass sie starb, denn sie starb nicht.“ Viele Male, die Reihe aufbrechend, immer lauter, ekstatisch brüllend im Rausch der religiösen Verzückung, die hinübergleitet in eine sexuelle.
Beruhigt dann, schauen sie den aufgeklarten Himmel.
Das Ich sterben zu lassen ist eine ziemlich gute und ziemlich alte Idee, weil dem Ich so viel Kleines mit ins Grab gelegt werden würde, Egoismen, Rücksichts- und Empathielosigkeit, Macht- und Überlegenheitsstreben, Separation und Spaltung. Und trotz der Angst der Allermeisten: Man stirbt noch lange nicht daran, im Gegenteil. Ziemlich unpopulär zu allen Zeiten, auch, weil Ich und Identität verwechselt werden. Aber der klinische Tod hat andere Ursachen ...
Dass in dieser Arbeit auch die männlich dominierte Institution Kirche und gleichermaßen die insbesondere in ihrer lutheranischen Prägung patriarchale und frauenfeindliche christliche Religion hinterfragt werden, scheint in diesen gottlosen Zeiten übertrieben. Die Auflehnung jedoch gegen die ganz tief in der Gesellschaft verankerten, selten als christlich reflektierten Werte in ihrer unbewusst-wirkmächtigen Dogmatik ist notwendig.
In „Amadora Llama“ (zu deutsch: „Liebhaberin Flamme“ und ebenso „Die Liebhaberin ruft“) versetzt Veza Fernández mit deutlich zielgruppen-spezifischer Ästhetik Körper und Seelen in Resonanz, versucht die Polyphonie als das die Varianten Einende. Sexuelle Verzückung rahmt die mystisch-religiöse. Eros gebiert Gott.
Im Anschluss an die Premiere wurde die Halle G zur Party-Location für die queere Szene und geduldete Heteros. Immer wieder interessant zu beobachten ist die aktive Ab- und Ausgrenzung, betrieben von denen, die doch so dringlich für ihre Anerkennung und Integration werben. Die Welt ist uns Spiegel.
„Amadora Llama“ (or the loving flame is also the lover that calls) von und mit Veza Fernández, am 11. April im Tanzquartier Wien