Wieder hat Jacqueline Kornmüller Ganymed auf seine Wege durch die Bildgalerien des Kunsthistorischen Museums geschickt. Und diesmal ist er verliebt. Drei Stunden lang werden wunderbare SchauspielerInnen, TänzerInnen und MusikerInnen die BesucherInnen in dieses Gefühl versetzen, auch wenn die Geschichten, die sie erzählen meist keineswegs so harmonisch sind wie die Umarmung beim Einlass.
Es wurlt. In der prachtvollen Eingangshalle sind einige Ordner eifrig dabei dem zahlreich erschienene Publikum Plätze zuzuweisen. Gerade noch haben die DarstellerInnen Platz sich im mittleren, frei bleibenden Kreis aufzustellen. Dann gehen sie auf die BesucherInnen zu, fordern sie zu einer Umarmung auf und einige Minuten wird so Liebe zelebriert.
Danach wird die Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums wieder zur großartigen Theaterkulisse. Nachdem Sabine Haag die Direktion des Hauses übernommen hatte, ist das Aufeinandertreffen von zeitgenössischer darstellender Kunst mit ausgewählten Gemälden bald realisiert wurden. Seit 2014 inszenieren Jacqueline Kornmüller (Regie) und Peter Wolf (Produktion) jedes Jahr eine Ausgabe von „Ganymed“, mittlerweile ein geschätzter Fixtermin im Wiener Kulturkalender. „Ganymed in Love“ ist die sechste Ausgabe der Serie. Schon bald nach der Premiere waren alle Vorstellungen ausverkauft. Doch obwohl die Zuschauerkapazität voll ausgeschöpft war, verteilte sich das Publikum sehr gut in den großen Räumen. Dafür sorgte wieder eine Aufteilung auf vier Eingänge. Die performativen Kurzacts werden im Loop gespielt, mindestens acht Mal pro Abend - keine leichte Aufgabe für die KünstlerInnen, die sich auch gegenüber einem Publikum in Bewegung und den knatschenden Parkettboden durchsetzen müssen. Und dennoch ziehen sie einen immer wieder in ihren Bann.
Zwölf Stationen bieten auch heuer wieder eine abwechslungsreiche Wanderung durch das Museum mit hochkarätigen darstellerischen Leistungen und Texten, die sich entweder direkt oder indirekt auf die angegebenen Kunstwerke bezogen. So stand etwa der tänzerisch-musikalische Dialog von Manaho Shimokawa und Martin Eberle in keinem offensichtlichen Zusammenhang zur „Hl. Margarete“ von Raffael, während Jean Philippe Toussaint mit „Die Hände“ einen inspirierten Kommentar zur Caravaggios „Rosenkranzmadonna“ schrieb, der von Christian Nickel und einem Gehörlosenensemble eindringlich verkörpert wird. Rania Ali (die junge Frau gelangte durch das Videotagebuch ihrer Flucht aus Syrien zu Berühmtheit) geht vor Tizians Kirschenmadonna Fragen über verschiedene Arten der Liebe nach. Matthias Loibner singt, spielt und erzählt die grausam-tragische Geschichte der blinden Drehleierspieler vor dem gleichnamigen Bild. Ein Ganymed-Fixpunkt sind Peter Wolf und Franz Schuh, diesmal ging es um die Familienkonstellation „Der Vater, der Sohn, ein Bruder und ein Gleichnis“ zum Gemälde „Gleichnis vom verlorenen Sohn“.
Bei diesem exzellenten Programm ist es schwer Höhepunkte herauszufiltern. So spielten die Pianisten Martin Ptak und Benny Omerzell grandios vierhändig, die Gruppe Gabbeh sang und spielte sich vor Buegels „Bauernhochzeit“ mit einem iranischen Lied, und die Sopranistin Mira Lu Kovacs mit Purcells „Remember Me“ in die Herzen des Publikums.
Die Dramaturgie der Wege war diesmal besonders stimmig konzipiert. Besonders berührend sind zum Beispiel die beiden Szenen, in denen Kindheit und Alter Nachbarn werden. Johanna Prosl verkörpert die Ängste eines Kindes vor einem möglichen Missbrauch durch ihren Vater (Text: „Frigide“ Lize Spit), im nächsten Raum interpretierte Ulli Maier den Text „Vergissmeinnicht“ von Milena Michiko Flasar. Der Bezug zu „Alte Frau am Fenster“ von Gerardo Dou war offensichtlich, während sich das Bild „Salome mit dem Haupt von Johannes des Täufers“ nicht unbedingt als Vergleich zu Spits Text aufdrängt. Jedenfalls lieferten beide Schauspielerinnen eine fabelhafte Performance und für meinen Weg durch das nächtliche Museum eine wunderbare Koda.
Es bleibt also zu hoffen, dass die Nachfolgerin von Sabine Haag dieses einzigartige, erfolgreiche Projekt weiterführen wird.
„Ganymed in Love“ am 22. Mai 2018 im Kunsthistorischen Museum. Weitere Vorstellungen am 25. und 29. Mai sowie am 5. und 15. Juni