Strenge Corona-bedingte Hygiene-Auflagen begleiteten den zweiteiligen Nachmittag und Abend in der Wiener Muthsamgasse. Auf der überdachten Outdoor-Bühne wurden ein Solo von Verena Herterich sowie Gruppen-Choreografien von Dorian Kaufeisen und Hygin Delimat präsentiert. Innenschau, Bewegung als politisches Statement und physischer Männlichkeits-Kult, verspielt und leicht. Scheinbar.
Verena Herterich: interface / almost dancing
Breitbeinig auf ihren Knien schaut sie ins Publikum. Als wäre sie nicht sie selbst. Elektronischen Sound (eine mit Musik aus den 90ern von ihr selbst erstellte Klang-Kollage) lässt Verena Herterich von der Bühne tropfen, brummen, pfeifen. Unter der Körperhülle regt sich etwas. Ruckelnd sich schälend aus Pose und Ort treibt sie durch Aspekte ihres Selbst. Durchscheinend nur. Nie klar, nie sicher. Hin zu Anklängen von Freiheit und Gefühl. Weicher und fließender im Duktus, zitiert sie schließlich den Techno, ganz flüchtig, wie alles gebrochen vom kantigen Break- und Electric-Dance, auch diesen nur andeutend.
Stark in Ausdruck und Präsenz, tänzerisch auf sehr hohem Niveau, bescheiden in der Geste und dadurch eindringlich in der Wirkung entwickelt Verena Herterich, Absolventin der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien in Zeitgenössischem und Klassischen Tanz, in dieser ca. 20-minütigen Skizze eine Frauen-Figur, die sich aus der Umklammerung verinnerlichter Instanzen anfängt zu lösen. Der beginnende Prozess einer Selbstermächtigung, dessen Darstellung nach abruptem Stopp der Musik ein paar Sekunden lang noch ausklingt. Beendet, als es am Schönsten war, lässt sie einen zurück mit Neu-Gier.
Dorian Kaufeisen: to move and to be moved
Eine englische Konversation wird eingespielt: „Mein Reichtum ist das Leben. Für immer.“ In die folgende Stille tritt die erste Performerin und hüpft, die Hände vor dem Körper vertikal schüttelnd. Es wirkt fast wie ein Workout. Sportiv das Dress, kurze Hosen und Sportschuhe. Eine zweite erscheint, synchronisiert sich. Der Rhythmus der Füße wird hörbar. Dann die dritte und die vierte. Amina Kampichler, Ivana Oršolić, Melina Papoulia und Lisa Bunderla rücken zusammen und skandieren: „We are unstopable! Force will not control us!“ Ausbruchsversuche Einzelner vereitelt die Gruppe.
Der Song „Muanapoto“ von Tshegue, der Band einer in Kongo-Kinshasa geborenen Pariser Musikerin, treibt sie an mit Afro-Rhythmen und Garage-Sound. Kraft und Macht einer Gruppe in Bewegung werden spürbar. Die Corona-taugliche Maskierung ist zugleich die von Widerstandskämpferinnen. Dynamische feministische und künstlerische Selbstbehauptung. Der aus der Schweiz stammende Choreograf Doran Kaufeisen nennt sich selbst Zeitgenössischer Tänzer, Musiker, B-Boy und Rapper. Seine Intention „von der Bewegung zum Widerstand“ geht auf.
Hygin Delimat: The B-Team
Ebenso wie die vier Protagonisten der US-amerikanischen Fernseh-Serie „Das A-Team“ wollen die drei Tänzer Hygin Delimat, Łukasz Czapski, Marcin Denkiewicz und der im Military-Look performende Musiker und Sound-Designer Voland Szekely, „The B-Team“, nicht ganz ernst genommen werden. So scheint es. Was wie Slapstick daherkommt und neben exakt choreografierten Urban-Dance-Passagen (die hohe Verletzungsgefahr erfordert präzises Timing) wundervolle parodistische Elemente enthält, jubelt uns eine Menge bitterernster Inhalte unter.
Zu Beginn als brettharter Leichnam auf die Bühne getragen und aufgebahrt, chorale Klänge begleiten die Trauer-Zeremonie, sucht der Auferstandene nach Orientierung in Raum, Zeit und körperlicher Identität. Er findet sich im Hier und Heute und, nach einer Gay-Persiflage, dann doch als „echter Mann“. Die sechs Euro-Paletten dienen nicht nur als Bahre, sie werden zu mobilen Bühnen-Elementen.
Die Performer spielen mit ihren Körpern, mit Equipment und Inhalten. Die männlichen Idole und Ideale der 80er, repräsentiert von Action-Helden wie dem „Terminator“ und „Rambo“, werden in die heutige Zeit gestellt und auf ihre Wirkung und Wirklichkeit hin untersucht. Ob sie um den „Atom-Koffer“ kämpfen, ob es der elastische Gang neuzeitlicher (natürlich männlicher) Hollywood-Helden und all ihrer Nachahmer in den Gassen und Gossen dieser Welt ist, das „Pumpen“ in den Fitness-Studios, die Kumpanei beim Raufen, Saufen und Herabwürdigen von Frauen und Schwulen, die Freude an Gewalt und deren Legitimierung im Kleinen wie im Großen, die flugfähigen asiatischen Kampfkünstler, der Gewalt-Genuss in Slow-Motion oder die Diskriminierung Schwächerer. Männer und die ihnen anhängenden und angehängten Klischees werden unbarmherzig zur Schau gestellt, ihrer Lächerlichkeit preisgegeben.
Die Verherrlichung von maskulinen Werten wie Bruderschaft, Risikobereitschaft, Kampfesmut und Kampfeswille, Konkurrenz, Machtgier, Heldentum und die allem innewohnende Arroganz und Selbstherrlichkeit nimmt Hygin Delimat mit der Wien-Premiere seines Stückes „The B-Team“ treffend aufs Korn. Mit teils extremer Dynamik und Physikalität – Akrobatik ergänzt die Urban- und Break-Elemente – mit Live-Perkussion und Theater gelingt Delimat eine expressive und ironisch-subversive Kritik an der Männlichkeit des patriarchalisch geprägten Spätkapitalismus als komplexe Humoreske. „Dieses Stück ist für alle Altersgruppen“, zwinkert er uns in seinem Begleittext zu.
Kultursommer Wien: Verena Herterich mit „interface / almost dancing“, Dorian Kaufeisen mit „to move and to be moved“, Hygin Delimat mit „The B-Team“ am 29. August in der Muthsamgasse.