Immer wieder setzen Tänzer einen in Erstaunen. Dieses Mal tun sie es allerdings weit über das herkömmliche Maß ihrer beruflichen Performer-Leidenschaft hinaus. Sie lassen uns wirkungsvoll sehen, was sie – quasi frei von der Leber weg – choreografisch zu sagen haben.
Bizarrste Gefühlswelten kommen über die Rampe – unter einem Titel, der in seiner schrägen Skurrilität den beiden in Eigenregie aus dem Boden gestampften Überraschungspaket-Tanzabenden der Ensemblemitglieder des Gärtnerplatztheaterballetts im Carl-Orff-Saal des Münchner Gasteig angemessen ist. Solch bislang verborgen schlummerndes Potenzial macht „Sparks I & II“ zu mehr als einer bloßen Randnotiz.
Blicken wir kurz zurück zur Direktionszeit des Briten Philip Taylor. Er verankerte die moderne Tanzschiene am Gärtnerplatz und ermutigte seine Leute regelmäßig, selbst Choreografien auszubaldowern. Cayetano Soto – damals einer der Taylor-Tänzer – ist heute als hypererfolgreicher Gastchoreograf international unterwegs. Annett Göhre mit ihrem seinerzeit urwitzigen Talent leitet nun das Ballett am Theater Plauen-Zwickau. Ida Zenna verwirklicht sich im Bereich Theaterfotografie. Ran Keren reüssiert als freischaffender Fotograf und Grafikdesigner. Dabei sind sie keineswegs die einzigen „Ehemaligen“ mit derartigem Karrieresprung!
Und jetzt zum aktuellen Ballettchef am Gärtnerplatz, dem Österreicher Karl-Alfred Schreiner. Lange hatte er an seiner „Minutemade“-Planung für diesen Sommer festgehalten. Das Format mit Kultstatus in der Münchner Tanzszene lebt von der Einladung international bekannter Gäste, die jeweils nur eine choreografisch kreative Woche mit dem Ensemble verbringen dürfen. Als klar wurde, dass daraus nichts mehr werden würde, erging das Angebot, eigene Arbeiten zu entwickeln, an die 20 Kompaniemitglieder.
Im Foyer nach „Sparks I“ fasst Schreiner das Entscheidende in zwei Sätzen zusammen: „Kaum gefragt, schnellten sofort 13 Finger in die Höhe“ und „In keinem Stück wurde ein bestimmtes Niveau unterschritten“. Man kann ihm nur beipflichten. Die meisten der 13 Werke waren tatsächlich choreografische Debüts sowie aufgrund unerwarteter Wendungen durchwegs originell, manchmal um Tanztheaterelemente erweitert, bisweilen geisterhaft-rührig (Roberta Pisu) und oft ebenso kurios wie tänzerisch stark (David Valencia, Joel Di Stefano, Rodrigo Juez Moral, Douglas Evangelista).
Als besonders raumstrukturell ausgefeilt erwies sich „waltz i“ von Alexander Quetell. „Biased“ von Ariane Roustan – ein bemerkenswerter Rausschmeißer am zweiten Abend – konterkariert in federnder Hibbeligkeit das zugespielte „Ave Maria“. Sogar Humor in subtiler Dosis wurde dem Zuschauvergnügen untergemengt – clever verbaut in dramaturgischen Bögen bei Sara De Greefs „Let’s dance in the bedroom, that’s where I keep my radio“ (ein gemischtes Quintett in gepunkteten Damenbadeanzügen) und bei „Dear Dairy“ von Janne Boere (über den Ablauf eines stinknormalen Montags).
Alle Projekte waren für zwei (Alexander Hille; Luca Seixtas) bis fünf Protagonisten konzipiert und alle waren durchtränkt vom forschen Willen, mit Hilfe der verschiedenartigen, zugeteilten oder ausgesuchten Interpretenpersönlichkeiten jeweils ein bestimmtes Thema über einen kompakten Zeitrahmen hinweg aufzurollen. Da durfte es auch mal ungemütlich und die Peinlichkeitsgrenze gestreift werden. So lässt Serena Landriel am Ende ihres „Fairly Rotten“ von Alt bis Jung intimste Sehnsüchte artikulieren, ohne die es freilich keine Menschheit gäbe.
Andere wiederum beschäftigte ein Schwebezustand aus Komplizenschaft, Verlorenheit, dem Feststecken in Zeitschleifen („Me Tempo“ von Clara Cafiero & Mikayla Lambert) oder der bedingungslose Drang zu Gruppenverschmelzungen. Zwei Abende, in denen frappant viel Leben und Energie steckt. Das schreit nach einem Publikumspreis. Auf jeden Fall sollte man sie – allen Planungswidrigkeiten zum Trotz – wiederholen.
„Sparks I und II“ mit 13 Choreografien der Tänzer und Tänzerinnen des Staatstheaters am Gärtnerplatztheater am 16. und 17. Juni im Münchner Carl-Orff-Saal/Gasteig