„Als wäre die Welt ein Honigschlecken!“ Die innige Verbindung von Form und Inhalt ist nicht immer so konsequent zu erleben wie hier. Tanz, Theater, Text, Sprache, Visual Art, Musik und Sound, Installation. Und Bilder, Nachrichten, Informationen, Situationen. Und Gedanken, Emotionen, Zustände, Sinneseindrücke. Aus diesen Werkzeugen, dem Außen und dem Innen mixt Saskia Hölbling mit ihrer Kompanie DANS.KIAS ihre im OFF-Theater Wien uraufgeführten „fragments of desire“.
Es ist ein Durcheinander von kurzen Sequenzen, die mit eben dieser Anordnung, ihrem jeweiligen performativen Charakter und den in ihnen thematisierten Aspekten wie das richtige Leben auf uns einprasseln. Evi Jägle zeigt in ihren Video-Animationen in Hochgeschwindigkeit ablaufende Serien von Bildern und Filmen, die Krieg und Zerstörung, einen auf sich gestellten Menschen bei der Konfrontation damit und Widerstand und Demonstrationen aus allen Regionen dieser Welt und dazu des urbanisierten Menschen destruktives Sein ins Auditorium hämmern. Tänzerisch-performativ wird gelitten, gezweifelt, verzagt, gesucht, getrotzt, gekämpft, gehalten und geliebt.
„Der Atompilz steigt auf, aber voller Zuversicht.“ Den Zynismus interessengetriebener Argumentation, ob politisch, gesellschaftlich oder individuell, fassen sie in poetische Worte. Die Texte von Saskia Hölbling und Leonie Wahl entlarven einerseits populistische Verkürzungen, sie stellen andererseits das Intentiöse an der Argumentation auch der menschenverachtendsten und zerstörerischsten Taten bloß. Hölblings Lyrik mündet in Paradoxien, deren Wirklichkeitsverweigerung und dissoziative Attitüde Bild einer beklemmenden, individuellen intrapsychischen Realität sind. Und die erzeugt Unbehagen.
Die Fülle, Diversität und Komplexität der Welt, in der wir leben und insbesondere die medial und real omnipräsente, gegen Mitmensch und Planeten gerichtete Destruktivität des Menschen sind zunehmend erdrückend. Es ist der Mensch selbst, dessen Wahrnehmung als primitives zerstörerisches Wesen entmutigt. Was folgt, ist ein Leben, das am Abgrund der Verzweiflung balanciert.
Eine qualifizierte Verarbeitung der bewusst und unbewusst aufgenommen Eindrücke und Informationen ist nicht mehr möglich, eine Positionierung in unserer Welt erscheint illusorisch. Die Herausforderungen münden in Überforderung. Das Bemühen der drei PerformerInnen, eine Strategie für dem Umgang damit zu finden, läuft ins Leere. Die emotionalen Wirrnisse hinterlassen Verstörung und inneres Chaos als Abbild des Außen. Tanz als Ausdruck des Unnennbaren, Sex als Narkotikum, verzweifelte Schreie als Ventil.
Dass künstlerische und Lebenserfahrung tänzerische Strahlkraft mit sich bringen, zeigen die drei einzigartigen TänzerInnen Saskia Hölbling, Leonie Wahl und Ardan Hussain (alle über Mitte 40) in ihren vielen Soli und Duetten. Jeder hat seine Momente, die unter die Haut gehen. Saskia Hölbling zum Beispiel berührt mit einem schon im ersten Showing im Dezember gezeigten Solo. Sie spürt in sich hinein, um zu erkennen, was passiert und was mit ihr passiert. Orientierung suchen auch Ardan Hussain, er tanzt die dynamischsten Soli, und Leonie Wahl. Letztere presst in theatralen Szenen erst im zweiten Versuch erfolgreich ganze Worte aus sich heraus. Unsortiert wie ihr Innenleben.
In dieser Arbeit wird die Geschichtsschreibung auf ihre Füße gestellt. Das Faktische der Welt und die Widersprüchlichkeit der Werte erzeugen Emotionen und Befindlichkeiten, die sich tief in die Psychen der Beteiligten und Betroffenen einbrennen und die über Generationen hinweg weit in die Zukunft vererbt werden. Verunsicherung und Angst wirken von unten in die Gesellschaft hinein. Der Zulauf, der die populistischen Vereinfacher weltweit in Politik und Gesellschaft stärkt, liegt hierin begründet. Und nebenbei werden hier auch die alte These von Marx „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ und die neue von der bewusstseinsformenden Kraft der Sprache hinterfragt. Das führt das Stück über eine Bestandsaufnahme hinaus.
Sprunghaft wechseln die Gefühlslagen, Begierden und Bedürfnisse, die Impulse und Triebe, die emotionalen und rationalen Strategien. Sie performen auch verzweifelte Versuche, der Verunsicherung durch gewaltsame Aufrechterhaltung des status quo zu entrinnen. Über allem aber liegt eine ungeheure Zerbrechlichkeit. Das Temporäre wird zum alles einenden Aspekt.
Häufige, heftige Brüche jagen das Publikum durch „fragments of desire“, ohne das Stück selbst zu fragmentieren. An seinem Ende liegen die verblassten Schriften der Gelehrten, die Geschichten der Leben der Menschen, ihre Träume, Hoffnungen, Wünsche und möglichen Zukünfte, ihr Schmerz und ihre Ängste als Trümmerhaufen vor uns. Als ein zusammen geknülltes Bündel verendet die lange Bahn aus Papier, vorher mit Farbe und mit Tanz beschrieben, auf der Bühne. Leider viel zu kurz hält das Schlussbild. Keine Zeit für Besinnung und Reflexion, die nach einer so komplexen, dichten Arbeit wünschenswert gewesen wäre.
DANS.KIAS mit „fragments of desire“ am 16. Jänner 2024 im OFF-Theater Wien