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Navaridas1Wenn sie uns durch den Backstage-Bereich auf die Bühne zu unserem Platz leiten, wird dem Publikum damit Partizipation nicht nur empfohlen, sondern zugewiesen. In der hier uraufgeführten Performance „Manifestations“ bringt Marta Navaridas echtes Leben auf die Theaterbühne und befragt Bühnen-Realitäten auf ihre Echtheit. Authentisches und Fiktives mischt sie zu einer vergnüglichen und durchaus kritischen Nummern-Revue.

Im April 2023 hat die in Graz lebende Übersetzerin, Dolmetscherin und Choreografin ihre fünf PerformerInnen Alexandru Cosarca, Alice Peterhans (als Alex Deutinger), Beatrice Frey, Julia Franz Richter und Alex Zehetbauer durch einen Parcours mit unterschiedlichen, aber jeweils intensiven Sinneseindrücken geschickt. Sehen, Riechen, Schmecken, Neugier, Verunsicherung und Angst, Essen, Achterbahn und Escape Room, und was den Fünfen dort verbal entfleuchte, wurde mitgeschnitten. Ein dreiviertel Jahr später über praktisch unsichtbare In-Ear-Kopfhörer während der Performance wieder zugespielt, werden jene Eindrücke und Emotionen mit deren Verbalisierungen live reaktiviert und das Publikum über die momentanen Emotionen der beobachteten Beobachter informiert. Etwa so das im Programmzettel beschriebene Konzept.Navaridas3

Der Charakter der zuweilen ineinander fließenden Szenen wechselt teils auch abrupt. Das erzeugt Spannung, die ihren Höhepunkt nach einer Phase der Stille erreicht. Die Fünf PerformerInnen sitzen dem auf der Bühne platzierten, Zuschauende performenden Publikum in dessen eigentlichem Areal gegenüber und schauen es an. Alexandru Cosarca bricht die lange, nur äußere Ereignislosigkeit. Er schreit plötzlich, völlig rückhaltlos, gibt physisch alles und erreicht damit die versteckten Orte, wo existenzielle Ängste oder solche vor Gewalt wohnen. Oder der reine Schmerz. Das leichte Lachen, in das er gleitet, entspannt. Es war die Achterbahn.

Als ZuschauerIn kann man sich entscheiden zwischen einem spaßigen Suchen und Raten, welche „realen“ Wurzeln eine gerade laufende Szene wohl haben könnte, oder dem direkten Einwirken-Lassen des gedanklich von seiner Entstehungsgeschichte abgekoppelten Live-Geschehens. Letzteres ermöglicht Wirkung. Und davon erzielt die etwa 70-minütige Arbeit einiges.

Navaridas2So wie jede(r) der fünf seine/ihre solistischen Momente erhält, gelingen auch Alex Zehetbauer mit seiner Singstimme weitere prägende Akzente. Er erklimmt eine fahrbare Hochbühne, von der sein bodenlanges, also fünf Meter langes Kleid herunterhängt, und singt mit viel Pathos in Geste und Stimme klassisches Material. So wird der hohe Sockel, auf den die Oper gestellt wurde, zu einem gefährlichen Arbeitsplatz. Aber auch das Ballett (-Publikum) bekommt sein Fett ab. Die übertriebenen Lobpreisungen banalster Gesten einer Tänzerin sind höchst amüsant.

Sie reisen szenisch durch die Bühnenkünste, tauchen in olfaktorische Fantasiewelten, erleben Alltägliches, Stadien der Kunstproduktion, proben Tanz und Theater, spielen mit den Möglichkeiten des Theaters und mit den Emotionen der Performenden, was hier alle im Saal meint. Sie weisen auf patriarchale Strukturen im Kunstbetrieb und spiegeln uns den Mief unserer Seh- und Rezeptions-Vorlieben und -Gewohnheiten. 

Bruno Pocheron setzt mit seinem Lichtdesign die Performenden, das Publikum einbegriffen, und die gesamte Halle G als Theaterraum gefühlvoll in Szene. Manuel Riegler lässt es mit Walzer, Live-Elektronik und Sounddesign brummen, krachen oder perkussiv die Schellen rasseln. In ihren Kostümen von Annemarie Arzberger wirken die Figuren wie Clowns, deren Distanz zu Inhalt und Form selbstkritische und -ironische Reflexion befördert.Navaridas5

Sie machen uns den Harlekin, der respektscheu seinen Blick wie ein Seziermesser ansetzt, um unter den Häuten und Hüllen des Ererbten und Tradierten die Angst vor Anderem, vor Neuem, vor Veränderung und vor der Zukunft freizulegen. Einer fühlt sich wie ein Hund, geführt an einer Leine, die geknüpft ist aus Zeitgeist, Erfolgsdruck und Versagensangst. Sie suchen, fürchten sich, schreien und keuchen. Und dann das Theater als Escape Room, in dem neugierig, angstfrei und lebensbejahend geforscht wird. Es geht aber auch um die Rahmenbedingungen für das Schafen und Stattfinden von Kunst. Versicherungen und Kollektivverträge, Auslastung und Rentabilität, Akzeptanz und Toleranz, Offenheit und Mut.

Navaridas4Sie werden durchsichtige Bühnen-Menschen, die sehr ironisch, bissig, humorvoll, witzig, skurril und spielerisch kreativ, bei alldem aber ehrlich und authentisch so einiges in Frage stellen und an fest gewähnten Fundamenten rütteln. Bei allem Amüsement in diesen fiktiv-realen Räumen und Situationen, Zuständen und Assoziationen bleibt von „Manifestations“ ein Gefühl von Mit-Verantwortung, mit dem sie uns Zuschauenden nach dieser bejubelten Premiere auf der Bühne zurücklassen. 

Marta Navaridas mit „MANIFESTATIONS“ am 02.02.204 im Tanzquartier Wien.

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