Mit der Nurejew-Gala klang die Saison beim Wiener Staatsballett aus. Auch diesmal war es ein langer Abend, in dem die Feststimmung stellenweise zur Schlummerstunde wurde. Die Gäste aus Paris, Valentine Colasante und Marc Moreau überzeugten hingegen nicht nur mit ihren souveränen Auftritten.
Freilich ist es beim Grand Pas Classique von Victor Gsovsky von den Étoiles des Pariser Opernballetts zu erwarten, dass sie mit technischer Bravour glänzen. In ihren edlen Chanel-Kostümen feierten sie die klassische Schule und setzten mit dem Stück der technischen Herausforderungen ein überzeugtes und überzeugendes Statement.
Weniger selbstverständlich war hingegen ihr zweiter Beitrag. Hier wählte man nicht den reißerischen Pas de deux aus dem 3. „Schwanensee“-Akt, sondern das zarte Duett aus dem 2. Akt. In dieser kurzen Szene entwickelten die beiden eine intensive und berührende Beziehung. Diese Odette ist Schwan und Frau zugleich, die mit lyrischer Eleganz den Prinzen in den Bann zieht, der wiederum mit zärtlicher Fürsorge reagiert. Colasante und Moreau interpretieren diese Begegnung mit verhaltener und doch knisternder Erotik, wie man sie selten sieht. Auch in dieser Generation sind die Pariser Tänzer*innen eine Klasse für sich.
Bereits dem Erfinder, dem ehemaligen Wiener Staatsballett-Direktor Manuel Legris – selbst gefeierter Étoile des Parier Opernballetts – sind bei der „Nurejew Gala“ die Anknüpfungspunkte an den titelgebenden Tänzer, Choreografen und Leiter des Pariser Balletts ausgegangen. Bis 2020 wurden diese Bezüge jedoch, sofern vorhanden, in kurzen Videos beleuchtet, in denen auch die Tänzer*innen vorgestellt wurden.
2024 war der Name Nurejew nur noch als Choreograf von Auszügen aus „Don Quixote“ und „Schwanensee“ zu finden, in Werken also, die in dieser Saison auf dem Spielplan des Wiener Staatsballetts standen. Der ursprüngliche Ansatz und damit grosso modo auch die Besonderheit der Programmierung ist verloren gegangen. Auch das Wiener Staatsballett wirkte an diesem Abend eher routiniert. Durchgehend animiert bis enthusiastisch leitete Wolfgang Heinz das Wiener Staatsopernorchester.
Nach einem lieblichen Beginn mit dem Pas de trois aus Bournonvilles „La ventana“ wurde der Abend mit dem 1. Akt aus „Schwanensee“ fortgesetzt, bei dem Timoor Afshar als Gefährte des Prinzen auffiel. Der junge Tänzer hat durch sein gelungenes Debut als Prinz (tanz.at berichtete) sichtlich an Selbstvertrauen gewonnen.
Als Gegenpol zum klassischen Beginn setzte Sonia Dvorák mit dem expressionistischen Solo „Ramifications“ von Martin Schläpfer zu Musik von Ligeti einen Kontrapunkt. Davide Dato tanzte wunderbar als Solist in „Four Schumann Pieces“ von Hans van Manen, doch mussten es wirklich alle vier Stücke sein? Die Länge dieses elegischen Werkes ist für eine Gala eher kontraproduktiv. Auszüge daraus hätten hier eine stärkere Wirkung gehabt.
Nach der Pause lieferte der „Wiener Blut Walzer“ des Wiener Ballettchefs einen dynamischen Auftakt, bei dem Olga Esina an der Seite von Marcos Menha glänzte. Darauf folgten fünf Pas de deux: Zwischen den oben erwähnten Duetten mit Valentine Colasante und Marc Moreau waren der Pas de deux aus dem 3. Akt der „Kameliendame“ mit Ketevan Papava und Timoor Afshar (zur tanz.at-Premierenkritik) zu sehen. Hyo-Jung Kang und Marco Menha tanzten die „Dornröschen“-Choreografie von Martin Schläpfer (tanz.at berichtete). Auf den Fandango aus Don Quixote folgte der Grand Pas de deux mit Ioanna Avraam und Arne Vandervelde. Für den Abschluss wurde das Finale aus Harald Landers „Études“ mit dem Wiener Staatsballett-Ensemble sowie der Jugendkompanie der Ballettakademie der Wiener Staatsoper wieder aufgenommen. Das hätte wohl einige Probentermine mehr gebraucht, um das funkelnde Feuerwerk dieser choreografischen danse d’école zu entfachen.
Wiener Staatsballett: „Nurejew Gala“ am 29. Juni 2024 in der Wiener Staatsoper.