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Wanderlust0Dreieinhalb Wochen lang waren es un-heimelige, ja unheimliche Perspektiven auf die Heimat, die sich den Besuchern, gut 46.000 an der Zahl, boten: in der diesjährigen Ausgabe des Festivals und damit zum 7. Mal unter der Leitung von Ekaterina Degot. Seit 2022 kuratiert Gábor Thury die performative Schiene und verhalf dieser wiederum zu einem einprägsamen Verlauf.

Die thematische Bandbreite rund um Identität im weitesten, aber insbesondere im politischen Sinne bot sich in ihrem Umfang nicht nur herbstfarbenprächtigst an, sondern vor allem unübersehbar in ihrer Aktualität eines intensiven Wahljahres und einer weltweiten politischen Macht- und Richtungsverschiebung. Sie wurde aber auch in einer Weise genutzt, dass manch verschlossenes oder engstirniges Ohr große Augen bekam – zumindest einmal anderes erspähen konnte oder sogar musste. 

„Mission Mutter Teresa“sKRA

Ein treffliches Beispiel dafür gab im Rahmen des Partnerprogramms des Festivals das junge Grazer Performancekollektiv KRA, bestehend aus Nora Köhler und Vera Kopfauf in „Mission Mutter Teresa“. Mit scheinbarer Unbekümmertheit werden im Solo Köhlers wenig bekannte Fakten um die Ordensschwester kundgetan; wiewohl selbstverständlich „nur das Gute“ gesehen werden soll, aber letztlich vor allem, um alsobald spielerisch in einen größeren kirchlichen Bereich zu gleiten und damit immer satirischer eigennützige Vorgehensweisen aufzudecken. Einerseits. Andererseits werden immer deutlicher die Parallelen zu politischen Machenschaften hervorgeholt. Und all das in einem kleinen, weitgehend leeren Raum, mittels einer wenig, aber umso besser eingesetzten Videowall und kreativ mittels Verwandelbarkeit einer Stoffrolle. Herzerfrischend, wenn’s nicht so beklemmend wäre. 

Chronik2„Austria Revisited“

Im gleichen Rahmen realisiert: die Koproduktion mit dem Schauspielhaus Graz und dem Schauspielhaus Wien: „Chronik der laufenden Entgleisungen: Austria revisited“ des österreichischen Dramatikers Thomas Köck, die in ihrer thematischen Aussagekraft und formal-theatralen (Regie: Marie Bues) Aufbereitung besonders positiv aus dem performativen Programm herausstach. Ein Jahr lang hatte der Autor in diesem Auftragswerk tagebuchartig festgehalten, was im Alltag vor den Nationalratswahlen an gar nicht Alltäglichem ihm widerfuhr. Aber nicht nur eine Chronologie ausgewählter innenpolitischer Fakten werden da ungläubig angeführt, mit Ängsten bis zur Hilflosigkeit konstatiert, sondern auch mit persönlichen Erfahrungen kommentiert, autofiktional erweitert und dann wieder beinhart sowie sarkastisch analysiert. Und dieses beklemmende Konvolut von Worten wird dank der mitreißenden Darstellung der Grazer und Wiener Schauspieler (Tala Al-Deen, Otiti Engelhardt, Kaspar Locher, Sophia Löffler, Karola NIederhuber, Mervan Ürkmez) einerseits und ihrer durchgehend mit Bewegung verbundenen, ja choreografierten Textpräsentation andererseits (Mason Manning) zu einer homogenen, unaufhaltbar rollenden Welle. Eine, die im eindringlichen Zusammenspiel mit markanter Live-Musik (Lila-Zoé Krauß) den sich verändernden, sich öffnenden und schließenden, durchsichtig undurchsichtigen Raum erfüllt. Chronik3

Die in Österreich symptomatische Abwesenheit von Diskurs, „hört hier noch jemand zu?“, (zitierte) Reden, die sich nicht nur in Österreich ohne Inhalt gefallen, Schulterzucken als Antwort, „wir müssen endlich…“ Derartiges endet in der Erkenntnis: „Sprache kennt sich auch nicht mehr aus“ - und es endet die großartige Performance mit der Frage: „Will sonst noch jemand was sagen?“

Chronik1„Empört euch“

„Empört euch. Oder eben nicht“ lautet die die gleichermaßen zornige wie resignierende Alternative, die Das Planetenparty Prinzip, ein 2015 in Graz gegründetes Performancekollektiv, in ihrer Filmperformance „FILM BEIGE“ anbietet. Dieses Experiment an der Schnittstelle von Kino und Performance erzählt vom Ineinanderfließen hohler Lebens-Realität und inhaltsleerer, glattglänzender Traumwelt im digitalen Nowhere. Von vorgegaukelten Werten geprägt ist da neben dem Wiederkäuen von Wünschen und Begierden, dem Streben nach Haben gerade noch ein Quäntchen an tiefmenschlicher Sehnsucht nach Sein: im „realen“ Wesen, einem Plastikwurm-Mensch (Alexandra Schmidt), der nach Resten von Kommunikation und Nähe beim und im Publikum sucht. Regie, Schnitt und Konzept von Moritz Ostanek und Viktoria Fux vermitteln atmosphärisch packend das Vereinnahmt-Werden, das Gleiten ins Entmenschlichte.

„Wanderlust Warenhaus“Wanderlust1

Scheinwelten, das Bewusstmachen von Vereinnahmung, das In-Besitz-Nehmen, die Ent-Individualisierung des Menschen, die Vermarktung von jedem und allem, also auch dem, was Heimat in positivem Sinne grundsätzlich sein kann: All dies kann auch im immersiven Rundgang, dem installativen Projekt Thomas Verstraetens „Wanderlust Warenhaus“ gesehen und empfunden werden. In Kleingruppen wird man dabei durch das größte Grazer Warenhaus geführt und, eingebettet etwa zwischen Büstenhalter oder angelehnt an (Schein-)Goldsäulen, an diversen klischee-heimatlichen Installationen respektive Szenen vorbeigeleitet: also an der Bergjause der Familie, am edlen Picknick des frühen Jahrhunderts, am Jungendlager in Zelten usw. Einem fiktiv Fischenden kann ebenso zugesehen werden wie Wellenreitern (als Videoprojektion), einem tatsächlich holzhackenden, zünftig gekleideten Burschen, dem Jäger im (Kleider-)Wald und dem verstohlenen Wilderer. Dass der Wald der Gegenwart u. U. nur mehr aus gezogenen oder Plastik-Christbäumen besteht, die Wanderung heute viel zu oft nur durch die Untiefen einer Tiefgarage führt – das zählt zu den griffigsten kritischen Momenten. Dass der Mensch primär ein Konsumierender ist, ein Benützer von Natur und Nehmender von (in unseren Breiten) Ware - im überbordend ausgestatteten Kaufhaus: das ist ironisch, manchmal auch witzig und mittels nicht unbedingt gerechtfertigt großem Aufwand hierbei erlebbar.

Volksliederabend„Volksliederabend in Addis Abeba“

Beim gut besuchten „Volksliederabend in Addis Abeba“, einer Performance des jungen, steirischen Regisseurs und Schauspielers Felix Hafner, bei dem sowohl mit Begeisterung mitgetanzt und mitgesungen wurde (Solidaritätslied, Text: B.Brecht, Tiroler Volkslied) zeigte sich die intendierte und angekündigte „Spannung zwischen Volkskultur und Internationalität, Authentizität und Selbstexotisierung“, die einen Bogen zu heutiger politischer Realität ziehe, allerdings nur marginal.

Nichtsdestoweniger: durch die Vielfalt des vielfältig Aufgezeigten hat dieser herbst manch Unbeachtetes, Übersehenes, „Weggeschautes und -Gedachtes“ nachdrücklich und überzeugend sichtbar machen können. 

Steiricher Herbst, 19. September bis 13. Oktober 2024