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GAT0Kanye West und Ludwig van Beethoven liefern den musikalischen Teppich für Emanuel Gats Suche nach Freiheit. Der israelisch-französische Choreograf legt diese in seiner „Freedom Sonata“ als eine choreografische Verhandlung zwischen der absoluten Freiheit der Tänzer*innen innerhalb vorgegebener Strukturen an. Damit liegt der Fokus auf dem Prozess und die Auseinandersetzung wird im ästhetischen „Produkt“ nur bedingt nachvollziehbar.

Es ist ein großes Vergnügen diese Release-trainierten Tänzer*innen in Aktion zu sehen. Sie gleiten geschmeidig über den Boden, holen sich dort den Impuls für die Vertikale, über die bald die Schwerkraft wieder die Oberhand bekommt. Unter den vielen Einzelhandlungen gewinnen jene Momente an Bedeutung, in denen sich die Tänzer*innen in einer Gruppe zusammenfinden und gemeinsam agieren. Es ist in diesen Ensembleszenen, in denen Gats choreografisches Talent hervorsticht.GAT4

Vielleicht ist das Fazit aus der Suche nach Freiheit, dass die individuelle Freiheit der Interpret*innen sich innerhalb strikter Grenzen, sprich der ästhetischen Struktur am Besten entfaltet. In einem Freiheitsverständnis, wie es der Historiker Timothy Snyder in seinem Buch „On Freedom“ beschreibt: Freiheit bedeutet nicht, sich von Regeln zu befreien, sondern frei zu sein, etwas gemeinsam zu kreieren. Und so ist auch der Schluss zu Kanye Wests „Saint Pablo“, wenn sich das Ensemble zu einem gemeinsamen Tanz zusammenfindet, der Höhepunkt von ca. 85 Minuten.

GAT1Und in dieser Länge liegt auch die Schwäche des Abends. Nicht einzelne Songs, nein, das ganze Album „The Life of Pablo“ wird hier auf der Bühne tänzerisch abgehandelt. Ausgerechnet von jenem Kanye West, der im Umfeld von Donald Trump mit antisemitischen, sexistischen und rassistischen Aussagen unrühmlich aufgefallen ist, dass Adidas sogar seinen Werbevertrag vorzeitig kündigte. Aber, naja, Gat hält West –wie dieser sich selbst – eben für „einen der wichtigsten, kreativsten und innovativsten Musikkünstler der letzten zwei Jahrzehnte“ und stellt ihn auf eine Linie mit dem Meister der Klassik: Zwischen den West-Raps erklingt der zweite Satz aus Beethoven Klaviersonate Nr. 32. Die Interpretin Mitsuko Ushida vemag es brillant die jazzigen Synkopen mit Ragtime-Anklängen in Beethovens Klanguniversum hervorzuheben. Auch Wests Rapsongs changieren zwischen unterschiedlichen Stilen, zwischen Pop, Rock, Gospel und Hip-Hop. Doch insgesamt bietet das Album wenig rhythmische Variablen, was sich auch in der Choreografie niederschlägt. Das Geschehen auf der Bühne zerfleddert. GAT3

GAT2Ankerpunkte sind die Szenen des Bühnenumbaus, bei dem die Bühne von schwarz auf weiß geschalten wird. Nach und nach werden von den Tänzer*innen mit Getöse und Hektik Bahnen eines weißen Tanzbodens über den schwarzen gelegt. Konsequent bis zur letzten Bahn wird der PVC-Boden ausgerollt, mit Klebeband fixiert, das wiederum mit Besen glatt gestrichen wird. Umgekehrt werden gegen Ende des Stückes die Tänzer*innen ihre weißen Kostüme gegen schwarze getauscht haben. Diese Wandlung verschafft der Choreografie Struktur und eröffnet dem Lichtdesigner Emanuel Gat eine Vielfalt an Möglichkeiten, die er stimmungsvoll zu nutzen weiß. Doch eine gewisse ästhetische Unentschlossenheit vermag sie nicht zu kaschieren.

Emanuel Gat: „Freedom Sonata“ am 18. Oktober im Festspielhaus St. Pölten