„Vom Verschwinden der Körper“ ist eine Choreografie von Maura Morales, die sie mit dem Komponisten und Gitarrist Michio Woirgardt für und mit TänzerInnen des Ballett Graz auf der Studiobühne des Opernhauses erarbeitet (Premiere am 8. Februar). Immer wieder haben die Titel ihrer Werke mit Körper zu tun, weil der Körper „immer Spiegel der Gesellschaft, einer Kreatur sei“ („Ballett Inside“ vom 19.1.24). Um weitere ihrer Gedanken dazu und zu dem, was ihr und ihrem Partner im Musikalischen und im Leben, Michio Woirgardt, wesentlich ist, drehte sich das Gespräch mit ihnen.
Geboren in Kuba und dort professionell in Tanz unterschiedlicher Art ausgebildet; lebt und arbeitet Maura – wenn nicht gerade weltweit auf Tour mit ihrer Compagnie, der Cooperativa Maura Morales – seit 1996 in Europa. Und sie will Brücke sein zwischen diesen Kulturen. Sie will die Möglichkeiten der Kraft des Tanzes vermitteln, die in Kuba etwa auch dann genutzt wird, wenn Trauer herrscht, vergessen werden soll. Wenn Freiheit gesucht wird und sich diese finden lässt, wenn man aus seinem „Urgrund“ tanzt, das tanzt, was man mit Worten nicht ausdrücken kann, wie Michio es beschreibt und wie Maura tanzt.
So authentisch tanzt, dass kaum einer sich ihrer Aussagekraft, ihrer Energie entziehen kann: Sie daher bereits mit ihrem ersten einstündigen Solo, mit „Wunschkonzert“ (Premiere 2012), nicht nur wichtige Wettbewerbe gewann, sondern dieses auch weltweite in 24 Ländern mehr als 100 Male zeigte. Dieser Erfolg war gleichzeitig der Startschuss für die Kooperative und damit Beginn einer künstlerischen Freiheit: Keinem mehr Rechenschaft schuldig zu sein; sich so bewegen und ausdrücken zu können, wie es ihr ein Anliegen ist. Ein erster Schritt sei allerdings immer, das tiefe Bedürfnis nach derartig freiem Körperausdruck zu haben. Und: Grenzüberschreitungen zuzulassen.
Ihre Ansprüche an sich als Tänzerin seien sehr hoch. „My body is a stranger that protects me, that kills me“ wird sie im Jahresprogrammbuch des Grazer Opernhauses zitiert. Ihr Körper sei ihr Haus, aber ebenso ihre Grenze, definiert sie im Gespräch. Er ist der Ort, wo sie verletzt werden könne und daher verbunden mit Ängsten, dass er nicht funktioniere. Letztlich sei sie, ihre „Seele“, ohne Körper obdachlos.
Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen gehört es für Maura zum Ritual vor einem Auftritt die TänzerInnen ihrer Compagnie zu erinnern: Findet eure Grenze und ignoriert sie!
Maura komme aus einem Land, das be- und eingrenzt. Und sie ignoriere Grenzen, weil sie so viele erfahren habe, erläutert Michio.
Es sei nicht einfach, sich auf Neues, Unbekanntes einzulassen, und so fallen Tänzer und Tänzerinnen sehr leicht in ihre erlernten Muster zurück. Kunst verdiene es aber, dass man nicht nur sein Handwerk beherrsche, sondern auch, dass man durch sie und mittels der Kunst neue Ufer erreiche. Diesen Weg zu finden, unterstützt auch Michio, indem er spontan mit Änderungen seiner gerade ‚vorgeschlagenen‘ Musik reagiert. Dann nämlich, wenn er während des Probenprozesses – er kreiert seine computergenerierten Kompositionen immer erst im Zusammenspiel mit der choreografischen Erarbeitung eines Werkes – Unsicherheiten, Zurückhaltung, Risse, Widersprüche im Bewegungsfluss entdeckt
Maura beobachtet gerne Menschen, um von ihnen, ihrem Körper und seinem Ausdruck Neues, bislang Unbekanntes zu erfahren: zu lernen, derart die eigene Körpersprache zu erweitern und letztlich zu verändern; dergestalt unnotwendige oder auch unzutreffende Schichten seines Körpers abzulegen, um zum ureigenen Kern vorzustoßen. Diese Idee steckt im Titel ihres neuesten Werkes, in dem vom „Verschwinden der Körper“ gesprochen wird. Und dieses Anliegen habe sie auch bei ihren TänzerInnen während der Erarbeitung einer Choreografie: Jeder und jede solle den Tanz finden, den er oder sie braucht, um den Grund, das Warum dieses Tanzes zu spüren und ihn authentisch vermitteln zu können. Nur so könne eine Brücke zum Publikum aufgebaut werden.