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Scheuermann3Schon mit Neunzehn tanzte Lilly Scheuermann als eine der damals zahlreichen aufstrebenden heimischen Kräfte des Wiener Staatsopernballetts bei den Bregenzer Festspielen die Titelrolle in „Giselle“; in ihrem Stammhaus, der Wiener Staatsoper, folgten noch in einem frühen Stadium ihrer Karriere Titelrollen in den abendfüllenden Balletten „Romeo und Julia“ von John Cranko, „Aschenbrödel“ von Tom Schilling und „Sylvia“ von László Seregi, weiters Aurora in „Dornröschen“ und Belle Rose in „Der Pagodenprinz“ von Wazlaw Orlikowsky, sowie Marie in Juri Grigorowitschs „Der Nussknacker“. Nun erreicht uns die traurige Nachricht, dass die ehemalige Erste Solotänzerin am 24. November 2024 im 80. Lebensjahr in Friedberg in der Steiermark gestorben ist.

Ihre Ausbildung erhielt die gebürtige Wienerin an der Ballettschule der Wiener Staatsoper sowie bei der in Wien wirkenden Pädagogin Vera Denisowa. 1961 wurde sie Mitglied des Balletts der Wiener Staatsoper, 1970 avancierte sie zur Solotänzerin, zwei Jahre später zur Ersten Solotänzerin. In „Ballett 1970“ wird von Hartmut Regitz der mit „überreichen Gaben gesegneten“ Lilly Scheuermann – sie hat in diesen Jahren insbesondere durch das Training von Alexander Ursuliak profitiert – eine Zukunft prophezeit, in der man von ihr wie von Eva Evdokimova sprechen würde. Und tatsächlich vermochte die Tänzerin ihre dynamisch eingesetzten technischen Fähigkeiten mit nuancierten Rollengestaltungen abzustimmen. Scheuermann1

Das Repertoire der vom Publikum und der Kritik gefeierten Tänzerin wurde bereichert durch von ihr kreierte Partien in Aurel von Milloss’ „Estri“ und – mit Paolo Bortoluzzi als Partner – „Per aspera“, dazu kamen Titelrollen in Josef Hassreiters „Die Puppenfee“, Aurel von Milloss’ „Orpheus und Eurydike“ und Wazlaw Orlikowskys „Daphnis und Chloe“, Mizzi in Erika Hankas „Hotel Sacher“ und die jüngere Schwester in Antony Tudors „Pillar of Fire“ sowie zahlreiche Hauptpartien in Balletten von Michail Fokin („Les Sylphides“), Léonide Massine („Der Dreispitz“), George Balanchine („Serenade“, „Apollo“, „Divertimento Nr. 15“, „Die vier Temperamente“, „Symphonie in C“), Tom Schilling („La Mer“) und Rudolf Nurejew  („Tancredi“), oft mit Michael Birkmeyer als Partner. Von ihren anderen Partnern aus der Wiener Kompanie sei Christian Tichy hervorgehoben.

Scheuermann2Einen weiteren Karrieresprung erlebte Lilly Scheuermann in Gerhard Brunners Ära als Ballettdirektor. An der Seite von Fernando Bujones tanzte sie Odette/Odile in Rudolf Nurejews „Schwanensee“ und endlich auch in Wien die Giselle. Bedeutende Rollen kreierte sie nun in Ruth Berghaus’ „L’Histoire du soldat“, Erich Walters „Der Golem“, Hans van Manens „Grand Trio“, Rudi van Dantzigs „Ulysses“, Joachim Gersters „Rosamunde“ sowie Jochen Ulrichs „Lyrische Suite“ und „Tantz-Schul“. Scheuermann4

 Hinzu kamen Hauptpartien in George Balanchines „Liebeslieder Walzer“, Anton Dolins „Pas de quatre“, Todd Bolenders „The Still Point“, Erich Walters „Pelleas und Melisande“, Hans van Manens „Adagio Hammerklavier“, „Twilight“ und „Lieder ohne Worte“, Rudi van Dantzigs „Letzte Lieder“, John Neumeiers „Der Feuervogel“, Jiří Kyliáns „Wiegenlied“ und „Rückkehr ins fremde Land“ sowie Nils Christes „Und so weiter“. In einer Spezialität des Wiener Repertoires, den „Wiesenthal Tänzen“, war sie in „Die Liebenden“ und „Der Tod und das Mädchen“ zu bewundern. Mit „Wiegenlied“ nahm sie 1990 ihren Abschied von der Bühne der Wiener Staatsoper, auf der sie insgesamt in rund 125 Partien aufgetreten war.

Von Lilly Scheuermanns Gastspielen seien ein Auftritt am Wiener Opernball in New York und die Präsentation von „Wiesenthal Tänzen“ in einer „Nijinsky-Gala“ des Hamburg Ballett John Neumeier genannt. Es ist dies jene Kompanie, in der ihre Tochter Patricia Friza ihre im Ballett der Wiener Staatsoper begonnene Karriere fortsetzte.