2015 brach an der Pariser Oper eine neue Ära an: Stéphane Lissner übernahm die Leitung des traditionsbewussten Theaters. Mit ihm traten Philippe Jordan als Musikdirektor und Benjamin Millepied als Ballettchef ihre Posten an. Mit den Vorbereitungen zur ersten Pressekonferenz des neuen Leading Teams beginnt der Film von Jean-Stéphane Bron, der ein Jahr lang das Geschehen vor und hinter den Kulissen dokumentierte. Kinostart in Österreich ist am 19. Jänner.
Jean-Stéphane Bron entführt die Zuseherin in die Magie der Pariser Oper, die bereits 2011 Thema einer Dokumentation war. Hatte sich der Amerikaner Frederick Wiseman din „La Danse - Le Ballet de l'Opéra de Paris“ ganz auf das Ballett konzentriert, so legt Jean-Stéphane Bron seinen Fokus auf die Oper. Auch ihm ist damit ein eindrucksvoller Blick hinter die Kulissen gelungen und ein rasanter Parcours durch das Alltagsleben des Kunstmolochs, der sich erneuern will und doch vom eigenen System immer wieder eingeholt wird.
Als erste Premiere hat Lissner (der zuvor Direktor an der Mailänder Scala und Musikdirektor bei den Wiener Festwochen war) „Moses und Aron“ aufs Programm gesetzt. Starregisseur Romeo Castellucci war auch hier nicht um eine ausgefallene Idee verlegen: er will einen ausgewachsenen Stier auf die Bühne bringen. Der Chor ist beunruhigt: was, wenn er ausbuchst und alle umrennt? Das Regieteam beruhigt, die Gewerkschaft achtet darauf, dass die Probenzeiten nicht überschritten werden, und am Ende wird alles gut.
Der Neo-Intendant hatte Schönbergs Oper auch deshalb gewählt, weil er zu seinem Einstand möglichst das gesamte Ensemble auf der Bühne haben wollte; schließlich spielt der Chor in dem Werk die Hauptrolle. Das bedachte Ballettdirektor Benjamin Millepied, der überraschend und unter Umgehung der tradierten Nachfolgeregelungen der Compagnie engagiert worden war, bei seinem Debut wohl nicht. Seine erste Kreation für das Ensemble war für zehn TänzerInnen konzipiert, die restlichen 144 Ballerinos und Ballerinas waren enttäuscht. Und so kam es bereits im Februar 2016 zum Abschied des Hollywood-Starchoreografen von „Black Swan“ (und Ehemanns von Filmstar Natalie Portman) von der Pariser Oper. Mit der Übernahme von Aurélie Dupont, einer ehemaligen Étoile der Compagnie, wurde die alte Ordnung wieder hergestellt. Die dazu inszenierte Pressekonferenz mit den beiden managte Lissner eigenhändig, indem er alle Fragen der Journalisten selbst beantwortete.
Die Szenen, die Philippe Jordan bei der Arbeit mit dem Orchester zeigen, lassen Vorfreude aufkommen, denn der gebürtige Schweizer wird ab 2020 Musikdirektor an der Wiener Staatsoper sein. Dass er in Paris die erste Ballettpremiere dirigierte, spricht für seine Anerkennung des Genres – doch davon ist bei dem Sohn einer Tänzerin ja auszugehen.
Bron spürt in seiner Dokumentation aber nicht so sehr den Stars nach. Einer der berührendsten Momente des Films zeigt eine Tänzerin, die nach ihrem Soli hinter der Bühne zusammenbricht und in sich zusammengesunken sitzen bleibt. Wenige Cuts später sieht man sie glücklicherweise in der Runde mit ihren KollegInnen schon wieder lachend scherzen. Oder die "Petits Violons": GrundschülerInnen lernten zwei Jahre lang an der Pariser Oper ein Instrument und proben nun für die Abschlussveranstaltung. Das engagierte Projekt für Kinder aus benachteiligten sozialen Gruppen wurde von Privatmäzenen finanziert. Auch das Attentat auf das Bataclan wird thematisiert. In der Opéra de Bastille und im Palais Garnier wird der geplanten Spielplan nicht ausgesetzt, die Aufführung unmittelbar nach dem Angriff wird aber mit einer Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer eingeleitet.
Die Geschichte der Oper entfaltet sich jedoch hauptsächlich durch die Augen des jungen Sängers Mischa Timoschenko. Überwältigt über sein Engagement an die Académie der Pariser Oper gleich nach seinem Abschluss in Weimar durchlebt er sein erstes Jahr in einer Art Freudentaumel. Das Angebot seines Sänger-Idols, des Bass-Bariton Bryn Terfel, mit ihm die Rolle des Boris Gudonov einstudieren zu wollen, bringt den gebürtigen Russen dann endgültig aus dem Häuschen. Wer weiß, vielleicht wird die internationale Opernwelt ja demnächst mehr von Mischa Timoschenko und seiner wunderbar samtigen Stimme hören.