Die Künstlerin Friedl Dicker-Brandeis gilt als Wegbereiterin der Kunsttherapie. Ab 1942 arbeitete Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin und Kunstpädagogin mit Kindern in Theresienstadt, bevor sie 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Einige der Kinderzeichnungen sowie ihre eigenen Werke sind in der Ausstellung im Lentos in Linz zu sehen.
Friedl Dicker-Brandeis war in ihrem künstlerischen Schaffen von ihren Lehrern Franz Čižek und Johannes Itten sowie von ihrem Kollegen Franz Singer, mit dem sie ein Atelier für Innenraumdesign zuerst in Berlin und später in Wien betrieb, beeinflusst. Stilistisch war sie überaus vielseitig. Ihre künstlerische Arbeit umfasst Landschaftsmalerei, Stillleben und abstrakte Bilder, die eine starke persönliche Ausdruckskraft und ihre politische Überzeugung widerspiegeln. Dicker-Brandeis war Mitglied der kommunistischen Partei. Webmuster, Möbel- und Architekturmodelle waren weitere Arbeitsgebiete der gebürtigen Wienerin. 2019 wurde im Rahmen des 100-jährigen Bestehens des Bauhaus die Arbeit der bislang wenig bekannten Künstlerin aufgearbeitet. Die Schau im Lentos zeigt nun erstmals in Österreich in einer umfassenden Museumsretrospektive ihr vielfältiges künstlerisches Werk.
Ihre pädagogische Arbeit folgte den humanistischen und erzieherischen Methoden von Čižek und Itten. Dies ist in den Zeichnungen der Kinder zu sehen, denen Dicker-Brandeis ab 1942 im jüdischen Ghetto in Theresienstadt Unterricht gab. Sie ermunterte die Kinder dazu Bilder mit Motiven aus ihrem eigenen Erfahrungsschatz zu malen. Sie zeichneten bunte Landschaften, Straßen, Bahnhöfe, Häuser, Familienportraits, Feste und Veranstaltungen. Ihre traumatischen Erlebnisse, das Entsetzen über ihre Situation und deren Ausweglosigkeit sind in diesen Bildern nicht zu entdecken. Es sind berührende und bedrückende Zeugnisse von Kindern, die bis auf eine Ausnahme den Holocaust nicht überlebt haben. Eine der letzten künstlerischen Arbeiten von Dicker-Brandeis ist ein Kindergesicht, das ohne Verankerung mit dem Bildhintergrund wie eine Vision der Unschuld erscheint.
Nachdem ihr Mann Pavel Brandeis 1944 nach Auschwitz deportiert wird, folgt sie ihm dorthin nach und wird bald darauf ihn den Gaskammern ermordet. Die Kinderzeichnungen werden von Willy Groag, dem Leiter des Mädchenheims, in dem Dicker-Brandeis als Lehrerin tätig war, nach Prag gebracht und der Jüdischen Gemeinde übergeben.
Mit ihrem pädagogischen Ansatz und dem Glauben an die heilende Kraft der Kunst hat Friedl Dicker-Brandeis die Kunsttherapie vorweggenommen. Sie übte einen starken Einfluss auf die in Wien geborene Edith Kramer (1916-2014) aus, die als eine der Pionier*innen in den USA eine Kunsttherapie entwickelte. In Israel hat Elena Makarova die Methoden von Friedl Dicker-Brandeis beforscht und diese für Kunsttherapie, Kunstpädagogik und Vermittlung weiterentwickelt. Von ihr stammt nicht nur ein Beitrag im umfangreichen Ausstellungskatalog, sondern auch Videos mit Zeitzeugen, die in der Ausstellung zu sehen sind.
Beim „Praxissymposium: Von Friedl Dicker-Brandeis lernen“, das sich besonders an Kunstpädagog*innen und Therapeut*innen richtet, wird Makarova am 12. Mai einen Workshop leiten sowie einen Vortrag halten. Am 13. Mai wird der Musiker, Komponist und Musiktherapist Tal Gur und die Tänzerin und Choreografin Jasmin Avissar, beide aus Israel, die Geschichte von Tals Großeltern, die den Holocaust überlebten, in eine interaktive Collage aus Tanz, Musik, Poesie übersetzen und diese mit der Ausstellung in Beziehung setzen.
„Friedl Dicker-Brandeis. Bauhaus-Schülerin, Avantgarde-Malerin, Kunstpädagogin“, Ausstellung bis 29. Mai mit einem umfangreichen Rahmenprogramm im Lentos