Mike Leighs beeindruckender Film über den britischen Maler William Turner (1775–1851) ist weniger Biografie als ein in die Zeit eingebettetes Porträt des Wegbereiters des Impressionismus. Mit Stimmungsbildern und Landschaften, stellen Regisseur Leigh und Kameramann Dick Pope die Gemälde Turners scheinbar nach und doch kommt trotz aller Tableaus nie Langeweile auf. Die handelnden Personen sind höchst lebendig.
Zwei tratschende Frauen in flämischer Tracht gehen einen Damm entlang, die Abendsonne scheint, die Grillen zirpen, am Horizont eine Windmühle, oben ist die Silhouette eines eifrig in seinen Notizblock kritzelnden Mannes zu sehen. Mr. Turner zeichnet. So romantisch, so poetisch beginnt der Film „Mr Turner“.
Jahreszahlen und Orte sind nicht wichtig, wir sehen einen Mann, der in der Kunstszene längst etabliert ist, als Mitglied der Royal Academy lebt Mr. Turner mit seinem Vater und einer devoten und bereitwilligen Haushälterin (Dorothy Atkinson) im London des beginnenden 19. Jahrhunderts. Dem Bild, das man sich nach Betrachtung der Gemälde Turners, von ihm machen könnte, entspricht der Mann nicht. Grobschlächtig, brummig, grunzt er oft nur, anstatt zu sprechen, will von seinen unehelichen Töchtern nichts wissen, liebt aber seinen Vater, der ihm als Geselle die Leinwand präpariert.
Die zarte Seite des Künstlers bricht durch, als der Vater stirbt und Turner in eine tiefe Depression fällt. Die warmherzig Witwe Sophia Booth (Marion Bailey) holt ihn wieder zurück ins Leben. Da bricht aus ihm sogar glückselige Fröhlichkeit hervor. William und Sophie erleben eine späte Liebe. In der Akademie bleibt er weiterhin selbstbewusster Brummbär, der sich über die Bilder anderer Mitglieder lustig macht, während die junge Königin Victoria seine Bilder „gelbes Geschmiere“ nennt und sich das Spitzentuch vor die Nase hält. Turner schert das nicht. Immer mehr verschwimmen die Konturen, immer abstrakter werden seine Bilder. Oft ist nur noch ein Flimmern des Lichtes zu sehen.
Keinen geringen Anteil am Gelingen des großartigen Films hat Hauptdarsteller Timothy Spall („Harry Potter“), der Turner nicht gerade zum Sympathieträger darstellt, doch mit ungeheurer fast abstoßender Präsenz ausstattet.
Regisseur (und Drehbuchautor) Leigh findet eine unterhaltsame Balance zwischen den intensiven Blicken auf Turners Arbeit, sowohl mit dem Pinsel als auch auf die fertigen Werke, die sich oft quasi aus der Natur herauskristallisieren, und auf sein Leben, besonders seiner Beziehung zu Frauen. Vorsichtig geht Leigh mit seiner Hauptfigur um, zeigt kein stilisiertes Künstlerporträt und macht den eigenbrötlerischen Mann auch nicht zum Monster, sondern zeigt einen Menschen, der unbeirrt seinen Weg geht auf der Suche nach dem Licht. Seine letzten Worte (ob überliefert oder erdacht, ist egal) waren sein Credo: Die Sonne ist Gott.
„Mr. Turner – Meister des Lichts“, ein Film von Mike Leigh, ab 21. November 2014 in den Kinos.