Es soll ihr letztes Jahr auf der Bühne sein, hat Sylvie Guillem angekündigt. Doch nach ihrem Auftritt im Festspielhaus St. Pölten fällt es schwer, das zu glauben. Wieder einmal hat die topfitte und elegante Primaballerina in „Rearray“ ihre Affinität zur choreografischen Sprache von William Forsythe bewiesen, ebenso wie das Ballet de Lyon, das an diesem Abend zwei weitere Stücke des Meisters zur Aufführung brachte.
Seit über 20 Jahren bestimmt Yorgos Loukos erfolgreich die Geschicke des Ballet de l'opéra de Lyon, einem Ensemble, das sich ganz dem zeitgenössischen Tanzschaffen seit der Postmoderne verschrieben hat. In dieser Saison ist es mit mehreren Forsythe-Balletten auf Tournee, darunter „Workwithinwork“ (1998) und „One Flat Thing Reproduced“ (2000). Zusammen mit „Rearray“ (2011) gab dieser Abend in St. Pölten einen sehr interessanten Einblick in das Werk des bahnbrechenden Choreografen.
„Workwithinwork“ erscheint als die logische Entwicklung des Ballettidioms nach Balanchine. Mit seinen Pas de deux, Soli und Gruppenszenen dekonstruiert Forsythe zwar die klassische Ballettsituation, fügt sie aber (vor allem in den Pas de deux) immer wieder neu zusammen. Die musikalische Struktur von Luciano Berio „Duetti per due violini“ ist die ideale Grundlage für diese hochkomplexe, konzentrierte Arbeit. Bereits hier zeigt sich die Stärke des Ballet de Lyon, die sich im letzten Stück des Abends bestätigen soll: Die TänzerInnen agieren ohne Manierismen. In diesem modularen System von Auftritten und Abgängen artikulieren sie klar und deutlich die Bewegungsaussage Forsythes.
Highlight des Abends war freilich der Auftritt von Sylvie Guillem in der eigens für sie kreierten Choreografie „Rearray“. Ihr Partner in dem bereits 2012 in St. Pölten gezeigten Stück war Massimo Murru, Etoile an der Scala in Mailand, der die Starballerina dezent und gekonnt unterstützte. Guillems Verständnis für Forsythes Arbeit wird auch diesmal deutlich. Präzise setzt sie ihre Bein- und Armbewegungen, leitet eine klassische Linie mit einer leichten Beugung des Kopfes oder Hebung der Hüfte in eine neue Ästhetik über: unangestrengt, natürlich (in Trainingsklamotten) und mit humorvollen Elementen. „Rearray“ ist aber auch ein Paradebeispiel für Forsythes Sprache, der nach eigenen Angaben „nicht aus dem Ballett heraus, sondern in das Ballett hinein“ arbeitet. Will heißen, dass Forsythe seine Dekonstruktionen nicht als Gegenstück zum klassisch-akademischen Tanz sieht sondern es mit seinen innovativen Variationen weiterentwickelt.
Auch im letzten Stück des Abends, „One Flat Thing, reproduced“ (auch als "Table Dance" bekannt), bleiben die klassischen Formen und Linien erhalten, auch wenn sie bei dieser Atem beraubenden Choreografie nicht mehr offensichtlich sind. Mit einem lauten Rummmms! knallen die TänzerInnen die 20 Tische vom Bühnenhintergrund in ihre Position um dann auf verschiedenen Ebenen auf und unter ihnen sowie in den Zwischenräumen ihre Aktionen setzen. Ein undurchschaubares System an Bewegungsmodulen, die die TänzerInnen durch ein internes Kommunikationssystem in Gang setzen, ergibt ein akrobatisches Ballett, das vor Energie zu bersten droht. Thom Willems hat dazu den kongenialen Sound aus bedrohlichem Grollen und zitternden Tremoli kreiert, der das Tempo der TänzerInnen noch zusätzlich antreibt. Großartig!
Ballet de l’Opéra de Lyon / Sylvie Guillem am 20. und 21. Februar 2015 im Festspielhaus St. Pölten