Nach 30 Jahren hat Lucinda Childs ihr bahnbrechendes Stück DANCE wiederaufgenommen. Das Tanzquartier Wien brachte die Europa-Premiere mit neuer Besetzung nach Wien. Intendant Walter Heun geht damit seinen Weg der Öffnung des Hauses behutsam, aber konsequent weiter.
DANCE ist ein Juwel der Postmoderne. In diesem Werk aus dem Jahr 1979 sind die kreativen Kräfte dreier AusnahmekünstlerInnen vereint: des Komponisten Philip Glass, des bildenden Künstlers Sol LeWitt und der Choreografin Lucinda Childs. Aus dieser symbiotischen künstlerischen Zusammenarbeit ist eines der dichtesten multimedialen Œuvres der jüngeren Tanzgeschichte entstanden.
Der schwarz-weiß Film des Konzeptkünstlers LeWitt mit den TänzerInnen der Originalbesetzung (darunter die Choreografin) wird auf eine transparente Leinwand vor der Tanzfläche projiziert und verdoppelt die Bühnenaktionen. Die Aufnahmen der überlebensgroßen Tänzerkörper überlagern die TänzerInnen auf der Bühne, der Film verschmilzt mit der Bühne oder wird zum Bühnenbild, wenn er seitlich oder über den Köpfen der TänzerInnen projiziert wird.
Glass’ Musik – ebenso wie der Film für die Wiederaufnahme neu eingespielt – gibt drängend das Tempo vor. Die Partitur des Minimalmusikers findet in Childs’ Bewegungsmaterial ihre kongeniale Entsprechung. Die Sequenzen aus schnellen Schrittfolgen, kleinen Sprüngen, rasanten Drehungen werden ebenso wie die Musik beinahe unmerklich variiert und aufgebaut. Das dreiteilige Stück besteht aus zwei Gruppentänzen und einem Solo, das ursprünglich von Childs selbst getanzt wurde.
Die Konstanz der Bewegung und der Musik in synchroner Perfektion versetzen das Publikum in eine Art Trance. So manch inspirierter Zuseher versuchte nach der Vorstellung im Hof des Museumsquartiers hüpfend und drehend die Bewegungssequenzen zu rekonstruieren. Was 1979 bei der Premiere in Amsterdam größtenteils auf Unverständnis traf, ist heute für das Publikum eine hin- und mitreißende, „uplifiting“ Tanzerfahrung.
In der Gegenüberstellung von Film und Bühnentanz wurde auch die Veränderung der Tanztechnik in den letzten dreißig Jahren sichtbar. Die jungen erstklassigen TänzerInnen sind präziser geworden, haben aber nicht mehr den entspannt-lässigen Bewegungsduktus der Originalbesetzung (den Anne Teresa De Keersmaeker so wunderbar weiterentwickelt hat). Das ist besonders in den Armschwüngen sichtbar. Die Bewegungen auf der Bühne wirken klassischer beziehungsweise formaler als im Film. Die Arme werden heute in schöner Linienführung gehalten, abgewinkelte Hände sind nur im Film zu sehen. Bei der Beinarbeit mag der Unterschied auch an den Schuhen liegen. 1979 trugen die PerformerInnen „Sneakers“, nun können sie ihre Füße in weichen Tanzschuhen perfekt strecken.
Vor DANCE hatte Lucinda Childs für die Oper „Einstein on the Beach“ bereits mit Philip Glass und dem Regisseur Robert Wilson zusammengearbeitet. Nach DANCE hat die Choreografin nur wenig unabhängige Produktionen, sondern vorwiegend Auftragsarbeiten für zahlreiche renommierte Ballettcompagnien (etwa Ballet de l’Opéra de Paris, Les Ballets de Monte Carlo, Boston Ballet, Bayerisches Staatsballett München, Ballet National de Marseille) realisiert. Sie arbeitet häufig mit bedeutenden bildenden Künstlern, Komponisten und Regisseuren wie Frank Gehry, Heryk Górecki, Terry Riley, Iannis Xenakis und immer wieder mit Glass und Wilson zusammen. Seit 1992 hat sie in einer Reihe von Operninszenierungen choreografisch und tänzerisch mitgewirkt, darunter an der Mailänder Scala und bei den Salzburger Festspielen.
Lucinda Childs hat also die besten Referenzen, und es bleibt zu hoffen, dass auch Wien demnächst (zum Beispiel das Wiener Staatsballett) dazu gehören wird.
Lucinda Childs DANCE, MQ, Halle E, 30. Oktober 2010