„The Ballet of Sam Hogue and Augustus Benjamin“ ist der faszinierender Dialog zweier Körper, die eine völlig neue, jeglicher bekannten Gestik ferne Sprache benutzen. Raùl Maia und Thomas Steyaert faszinieren durch Sorgfalt und Präzision, lassen es aber nicht an Theatralik und Affekt mangeln. Ein Ballett zweier Körper, das Bände spricht.
Zwei Menschen, Männer, nackt bis auf eine lächerliche weiße Short-Unterhose, versuchen im Dunkel einander näher zu kommen. Das Meer rauscht, die Wellen schlagen an den Strand, die beiden Schiffbrüchigen kämpfen gegen den Wind. Der eine, verzweifelt strampelnd, die Arme streckend und beugend, in immer gleicher Geste; der andere aufrecht gehend, wankend. Keiner erreicht den anderen. Keine rettet den anderen.
Ob Raùl Maia und Thomas Steyaert wirklich von stürmischer See und Bruchlandung erzählen wollen, weiß ich nicht. Es sind die Geräusche zu ihrem Ballett der Körper (Sam Hogue und Augustus Benjamin haben schon öfter als alter Ego von Maia begeistert), die immer wieder neue Räume öffnen. Später werde ich von Musik und Licht in die Disco geführt, um irgendwann in einem schummerigen Liebesnest zu landen. Was die Körper der beiden sprechen dringt nicht ins Ohr und kaum ins Gehirn, aber direkt ins Sonnengeflecht. Nicht nur die intensive Nähe, die die beiden sich erlauben (und dem Publikum zumuten), auch die Vielfalt und Tiefe der Gefühle, wovon die beiden zerbrechlich wirkenden Körper, die verschlungenen Arme, verhakten Beine, die tastend ausgestreckten Hände und gekrümmten Finger, die ritualisierten Gesten erzählen, erzeugen Spannung und wohl auch Geschichten. In immer neuen Szenen kommunizieren die beiden Männer über ihre Körper, versuchen Annäherung und Abweisung, sprechen von Liebe, Eifersucht und Gleichgültigkeit. Jeder der beiden Performer hat sein eigenes Vokabular: Maia benutzt die Füße, steht, geht, schleicht, tappt meist aufrecht, während Steyaert einen horizontalen Akzent setzt, in dem er robbt und rollt und auf dem Rücken oder Bauch liegend, ein Bein in der Luft, erstarrt als wäre der Film gerissen. Auch die Art wie die Körper miteinander sprechen, hat viele Facetten: Ganz langsam und bedächtig (Slow Motion) oder heftig und aggressiv, weit voneinander entfernt, sodass Kommunikation kaum noch möglich ist oder so ineinander verwickelt. dass die Emotion die Artikulation einschränkt, die„Wörter“ kaum noch zu verstehen sind, weil gesprudelt, gebrabbelt, gestottert wird.
Eine Manifestation der Behauptung, dass Wörter nicht unbedingt notwendig sind, um miteinander zu kommunizieren, um einander zu verstehen. Und auch der Tatsache, dass der Tanz immer wieder zu neuen Ausdrucksmöglichkeiten findet.
Seit gut sechs Jahren arbeiten der Portugiese Raùl Maia und der Belgier Thomas Steyaert (einige Jahre Tänzer bei Vim Vandekeybus / „Ultima Vez ) gemeinsam an der Entwicklung einer spezifischen Sprache für den Körper. Das Bewegungssystem soll nicht aus den bekannten Symbolen und pantomimischen Gesten bestehen, sondern eine neues Körpervokabular benutzen. Was mit Improvisation begonnen hat und auch jetzt noch „ein Projekt“ genannt wird, ist an diesem Abend eine bis ins kleinste Detail sorgfältig gearbeitete faszinierende Performance, die mit Überraschungen aufwartet (auch mit Ironie und leisem Humor) und nicht nur die perfekte Technik der beiden Körperkünstler zeigt sondern auch packt und optisch wie emotional befriedigt.
„The Ballet of Sam Hogue and Augustus Benjamin“, WUK, 2. April 2011