Das „Institut Dr. Schmida“ in der Lehárgasse im 6. Wiener Gemeindebezirk trägt noch ihren Namen. In der neu entstehenden Seestadt Aspern wird eine Straße nach ihr benannt. Und die junge Choreografin, Tänzerin und Autorin Elke Pichler erinnert in ihrer Kreation „Gefühl Gesicht Gestalt“ an die Arbeit Susanne Schmidas. Mit zwei ihrer ehemaligen SchülerInnen hat sie Schmidas „Raumlinien Gymnastik“ rekonstruiert - zu sehen bei Österreich TANZT.
Die 1894 in einem kleinen mährischen Städtchen, Bystritz am Hostein (Hostinez) geborene Susanne Schmida war eine Pionierin ihrer Zeit. Sie war eine der ersten Frauen, die in Wien in Philosophie promovierten. Sie eröffnete 1934 das erste Yogainstitut Österreichs, das Institut Dr. Schmida, welches heute noch für Yogaunterricht bekannt ist. Die dort bis in die 80-er Jahre stattfindende Ausbildung war einzigartig. Wenn man sich in die Schule einschrieb, so erhielt man Unterricht in Gymnastik, Tanz, Yoga, Philosophie, Meditation, Tiefenpsychologie und Rhetorik. Die meisten dieser Fächer unterrichtete Susanne Schmida aufgrund ihrer vielseitigen Ausbildung selbst. Lediglich zum Tanzen zu kommen, ohne den Rest der Schulung mitzubelegen, war nur in seltenen Ausnahmefällen möglich. Susanne Schmida vertrat eine Tanzrichtung, die außer ihr in Wien nur noch von ihrer Lehrerin Hilde Hager und von Elisabeth Berber-Hoffmann unterrichtet wurde und die in Wien seit Susanne Schmidas Tod ausgelöscht ist.
Susanne Schmida war im Wesentlichen von drei Seiten beeinflusst:
Antrieb für ihr philosophisches Schaffen war vor allem ihr Philosophie-Professor Robert Reininger, der zwischen 1912 und 1939 Obmann der philosophischen Gesellschaft an der Universität Wien war. Bei ihm lernte sie indische Philosophie kennen, aber auch Friedrich Nietzsche, über dessen ewige Wiederkehr Susanne Schmida ihre Doktorarbeit verfasste. Ihre Begeisterung für die Philosophie Nietzsches teilte sie mit zahlreichen anderen Ausdruckstänzerinnen. 1922 begründete Susanne Schmida einen wissenschaftlichen Zirkel, den Reiningerkreis, in dem für Österreich bedeutende philosophische Arbeit geleistet wurde.
Die Liebe zum Theater war bei Susanne Schmida schon in der Jugendzeit erwacht. Ihre Liebe zum Tanz entdeckte sie 1926, als sie die Gymnastik- und Tanzkurse Hilde Hagers besuchte. Von ihr lernte Schmida nicht nur die künstlerische Gymnastik der Loheland Schule kennen, in der Hilde Hager ihre Ausbildung erhalten hatte, ihre Lehrerin wurde auch so etwas wie eine Muse für sie. Als Hilde Hager (1888 via 1952) unerwartet bei einem Sturz in Capri starb schrieb Susanne Schmida in einem Nachruf über sie:
„Feinfühlig und feinnervig bis zur Übersensibilität und von reichster Phantasie, umgab sie sich stets mit einer eigenen Welt künstlerischer Lebensform, die sie für ihre Schülerinnen und Anhänger anziehend machte und in der nicht nur Tänzer und Gymnasten, sondern auch Musiker, Maler und Schauspieler sich ihre Anregungen holten. […] Sie ist für alle, die sie näher kannten, das Symbol einer Kultur, die hätte nach dem ersten Weltkrieg aus den vorhandenen Keimen erblühen können, wenn nicht die neue Katastrophe diese Saat vor der Reife erstickt hätte.“
Hilde Hager wurde zwar auf Loheland ausgebildet, blieb der Loheland Gymnastik allerdings nicht streng verhaftet sondern entwickelte sie vor allem in die tänzerische Richtung weiter. Die Schulung ging weit über die des Körpers hinaus. Gymnastik hatte auch charakterbildende Funktion und erweckte die schöpferischen Kräfte, sodass der Weg zu künstlerischem Schaffen vorbereitet war.
In ihrem letzten für den Österreichischen Gymnastikbund verfassten Artikel schrieb Hilde Hager:
„Gymnastik ist keine Technik, sie ist die Erziehung am ganzen Menschen, sie ergreift, lenkt und formt seine vitalsten Kräfte. […] Ein gedankenloses Wiederholen von Bewegungsabläufen […] wird abgelehnt. Das Erlebnis der Bewegung an sich, durch Schwere und Schwung und das Erlebnis des Eigenrhythmus gebunden an Pulsschlag und Atmung gibt ein besonderes Empfinden zu Raum und Umwelt, damit auch zum Nächsten“
Die Atmung sollte helfen, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass alle Menschen ein winziger Bestandteil der atmenden Welt sind. Über ein Mitschwingen mit diesem großen Lebensatem konnte sich jedes Einzelwesen in die große Harmonie einfügen.
Das Idealbild der Harmonie deutet schon auf die dritte große Inspirationsquelle Susanne Schmidas hin, die Lebensreformbewegung, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen ersten Höhepunkt erlangte. Sie war eine interdisziplinäre Bewegung, die eine gesellschaftliche Wandlung des Menschenbildes mit sich brachte.
Die Lebensreformbewegung präsentierte sich in den verschiedensten Ausprägungen. Es entstanden Landkommunen, mit dem Ziel, ökonomisch unabhängig ein naturverbundenes Leben als Gegenmodell zum Leben in der Stadt zu führen. Musik und Kunst waren Transportmittel der neuen Ideen, Friedrich Nietzsche – vor allem durch seinen „Zarathustra“ – wirkte als Vorbildfigur. Die Entwicklung eines neuen Frauenbildes war ein Anliegen der Lebensreform: zurück zur ursprünglichen Kraft, zu Schönheit und Gesundheit, zu natürlichen Bewegungen des weiblichen Körpers, befreit von den Einschränkungen des Korsetts. Das Ich stand im Mittelpunkt, frei von Fesseln, von Schuld und Scham. Der wichtigste Aspekt der Lebensreformbewegung war jedoch der unumstößliche Glaube an die harmonische Verflechtung des Menschen mit der Natur, der Erde und dem Kosmos.
Diese drei Elemente – Philosophie, tänzerische Gymnastik und Lebensreformbewegung – verwoben sich zu einem umfangreichen Ganzen in Susanne Schmidas Unterricht. So verließen nach drei bis vier Jahren umfassend gebildete SchülerInnen die Ausbildung, die sich mehr durch ihre Offenheit und Weite im Denken als durch dogmatische Strenge auszeichneten.
Inspiriert durch Lebensreform und Loheland schwebte Susanne Schmida bereits in den 30-er Jahren, aber auch noch in den 60-er Jahren zur Zeit der Hippie-Bewegung eine Schul-Siedlung am Land vor, deren Ausbildung universitärem Niveau entspräche. Die durch rhythmische, gymnastische und tänzerische Erziehung hervorgerufene Verfeinerung des Menschen würde den Weg bereiten für eine von Kunst beseelte Lebensform. Frauen sollten in diesen Siedlungen als gleichwertiges und selbständiges Geschlecht erzogen werden. Das Wesentliche dieser Schule war allerdings die Meditation, die auf der Methode des Yoga basierte und auf wissenschaftlichem Niveau durchgeführt werden sollte.
Zur Gründung einer Siedlung am Land kam es letztendlich nie, auch wenn Susanne Schmida häufig über bestimmte Perioden den Unterricht am Land abhielt. Viele ihrer Pläne konnte Susanne Schmida aber gleichermaßen in Wien, in der Lehárgasse, verwirklichen.
Susanne Schmida war – bedingt durch ihre universitäre philosophische Schulung – eine analytische Frau. Mit dem System der „Raumliniengymnastik“ teilte sie beispielsweise tänzerische Bewegungen in 12 verschiedene Raumlinien ein. Dennoch erreichte sie letztendlich nicht, ihren Tanz in eine allgemein gültige und weitergebbare Form zu bringen. Zu sehr war der Unterricht an die eigene Person gebunden.
Daher zeichnete sich schon in den letzten Jahren von Susanne Schmidas Leben ab, dass sich kein Nachfolger finden würde, der die Schule übernehmen könnte. Die Tanzform der Loheland-Schule und ihre Weiterentwicklung durch Susanne Schmida sind seit Susanne Schmidas Tod im Jahr 1981 in Wien ausgelöscht. Heute wird das Institut Dr. Schmida gemeinschaftlich vom Verein „Bund für neue Lebensform“ geleitet. Das angebotene Programm, wie beispielsweise Iyengar Yoga oder Feldenkrais, ist qualitativ hochwertig, allerdings nicht mehr direkt auf Susanne Schmida zurückzuführen.
„Gefühl Gesicht Gestalt“ von Elke Pichler ist am 8. Juni im Rahmen von Österreich TANZT im Festspielhaus St. Pölten zu sehen. www.festspielhaus.at