Ehezwist bei Hof. Die Königin lässt nicht los, was der König haben will. Nobel ist das nicht, streiten Titania, die Elfenkönigin und Oberon, ihr Gemahl, doch um einen Knaben. Oberon zieht den Kürzeren und sinnt auf Rache. Dabei soll ihm sein getreuer Puck helfen. In der Sommernacht verwirrt der die Sinne und Titania verliebt sich in einen Esel. Sie bleibt nicht die Einzige, die aus Liebe toll wird. In einer schwülen Sommernacht, ein Traum nur.
Von William Shakespeares „Sommernachtstraum“ ließ sich auch der aus Finnland stammende in aller Welt begehrte Choreograf Jorma Elo inspirieren. Irina Tsymbal ist bei der Wiederaufnahme des Balletts an der Volksoper Königin Titania, Kirill Kourlaev Oberon und Mihail Sosnovschi ist wie bei der Uraufführung 2010 an der Wiener Staatsoper Puck, das unfassbare Geschöpf.
In hohen Bocksprüngen quert er den nächtlichen Wald, dann wieder windet sich sein Körper schlangenartig zu Boden und ist plötzlich mit einem Satz auf dem Rücken des Königs der Elfen gelandet. Hörner im schwarzen Lockenhaar, das Gesicht oft zur Fratze verzerrt oder auch mit dunklen Augen demütig Gehorsam gelobend, ist Mihail Sosnovschi kein menschliches Wesen. Will er auch nicht sein, tanzt er doch den Puck, eine vielfach interpretierbare Gestalt, die Sosnovschi auf den Leib geschrieben ist. Hat er den Puck in Elos Choreografie doch quasi erschaffen.
Das Tier in mir. Dennoch ist auch für den Solotänzer dieser Puck schwer zu fassen, jedenfalls jedoch kein possierlicher Gnom, kein Kobold, der zum Vergnügen mit den Menschenkindern seinen Schabernack treibt, genau genommen, überhaupt kein menschenähnliches Wesen: „Wer der Puck wirklich ist, kann ich nicht sagen, aber für mich ist ein Puck ein Tier. Zumindest in dieser Choreografie. Da ist er ein Tier. Die Schritte und Sprünge, die er macht, wie er landet, wie er reagiert, das ist tierisch.“ Prompt schießt er vom Sessel, verwandelt sich in Puck, muss springen, sich winden, zur Spirale drehen, witternd den Kopf wenden, das Hinterteil emporrecken, zeigen wie ein Tier sich bewegt, wie ein Hund reagiert, wenn er gerufen wird. „Das ist nicht menschlich. Der Puck kommuniziert auch nicht, er gehorcht seinem Herrn, oder gehorcht nicht.“ Choreograf Elo scheint mit der Interpretation zufrieden zu sein. „Und ob“, freut sich Sosnovschi, „sonst hätte er mich nicht nach Moskau geschickt, um den Prix Benois entgegenzunehmen.“ Der alljährlich in mehreren Kategorien verliehene „Oscar der Ballettwelt“ wurde Elo für seinen „Sommernachtstraum“ 2011 verliehen, doch der vielbeschäftigte Choreograf fand inmitten seiner Arbeit in Europa und den USA keine Zeit zum Feiern. Die dunklen Locken ordentlich gekämmt, die Krawatte sauber gebunden, war der quirlige Puck, ganz menschlich, ein würdiger Vertreter.
Ich spiele nicht, ich will sein. In Choreografien, die Geschichten erzählen, macht sich Sosnovschi seine Rolle ganz zu eigen. Ob er es als mordlustiger Hahn in Renato Zanellas „Renard“ mit dem Fuchs aufnimmt oder den etwas beschränkten Alain in Frederick Ashtons Ballett „La fille mal gardée“ mimt, den verliebten Offizier Wronski in Boris Eifmans „Anna Karenina“ oder den betrunkenen Filou Lescaut in Kenneth MacMillans „Manon“, einen blauen Vogel („Dornröschen“) oder Romeo tanzt, immer zeigt er auch ein Stück von sich selbst. „Ich spiele nicht, ich will sein.“ Und weil er manchmal auch das Tier in sich spürt, kann er ebenso ein faszinierend erotischer „Faun“ in Boris Nebylas Choreografie von „Nachmittag eines Fauns“ sein wie das tierische Waldwesen im “Sommernachtstraum“. „Ein Mensch bin ich so wie so, das Tier in mir möchte ich raus bringen. Ich fühle wirklich so etwas Tierisches in mir. Ich liebe die Natur und bin gern im Wald, da fühle ich mich wohl. Zuhause in Chisinau bin ich direkt am Wald aufgewachsen. Im Herbst bin ich ins Laub hinein gesprungen und habe die Blätter gerochen, da bin ich dann gelegen und habe in den Himmel geschaut.“ Die Großstadt „stört“ ihn nicht, doch wenn er zwischen Training, Proben und Aufführung ein paar Stunden frei hat, steht er um sechs in der Früh auf und fährt ans Wasser zum Fischen. „Ich muss gar nichts fangen, aber die Ruhe ist mir wichtig, ich fahre auch oft in die Dörfer rund um Wien, es würde mich gar nicht stören, in Gänserndorf zu wohnen. Am liebsten aber bin ich im Wald.“
Der Schein trügt. Mischa spaziert nicht alleine durch Wald und Flur, er liebt Gesellschaft, Kommunikation, auch Selbstdarstellung und Anerkennung: „Ich bin kein Einzelmensch. Ich brauche die Menschen um mich. Und ohne Frauen … das wäre kein Leben.“ Wohlerzogen, liebenswürdig und immer vergnügt – „Wie’s da drin aussieht, geht niemand’ etwas an“ –, wirkt Sosnovschis charismatischer Charme nicht nur auf der Bühne. Seine Scherzworte genießen auch die Putzfrauen in der Oper. Ein unruhiger Geist war er schon immer, „deswegen bin ich auch ins Ballett geschickt worden.“ Zuerst natürlich, wie im russischen Kulturraum üblich, zum Volkstanzen. Später hat ihn ein Onkel an die heimische Ballettakademie geholt, wo sein Talent vom ehemaligen Tänzer und Präsidenten des Österreichischen Tanzrates (ÖTR) Karl Musil entdeckt worden ist. Ein Kind war er damals noch und hat die Trennung von den Eltern doch nie bereut: „Ich bin nie zu etwas gezwungen worden, wenn ich Zahnarzt hätte werden wollen, wären meine Eltern auch einverstanden gewesen. Und auch die Chance, die ich in Österreich erhalten habe, habe ich ganz freiwillig ergriffen.“ Auch wenn Mihail Sosnovschi seiner Heimat treu geblieben ist, hat er sich auch in Wien verliebt und eine zweite Staatsbürgerschaft angenommen. Einen Deutschkurs hat er nicht besuchen müssen. Sein geschliffenes Mundwerk wird längst in nahezu perfektem Wienerisch gebraucht.
Ich bin nicht immer der Kasperl. Wenn der Solotänzer Text lernen muss, dann nicht, um mit der Stimme zu sprechen, sondern mit den Händen. „Ich meine, für mich ist der Tanz schon auch sprechen, mit dem Körper, nicht mit dem Mund. Aber im ‚Sommernachtstraum’ ist es richtiger Text, das ist schwerer zu lernen als Schritte und Sprünge. Der Wortlaut muss genau stimmen und auch exakt zur Musik passen.“ Die ausdrucksvolle Pantomime erzählt von der Intrige, die Oberon schmiedet. Puck muss sie ausführen, und wiederholt getreu, was er zu tun hat: Den Zaubersaft einer Blume in der Königin Augen träufeln, damit sie sich blindlings in den Esel verliebt. Mischa, der Tänzer, übt geduldig, was Puck, das Tier, sich einprägen soll: „Die Blume“ – lässt er aus dem Boden wachsen –, „die Königin“ – Hände als Krone auf dem Kopf –, „die Augen“ – werden eingetropft –, „das Herz“ – beide Hände an die Brust gedrückt – und zum Schluss der lasziv wackelnde Steiß –„der Esel.“ Puck hat wieder Mal die Lacher auf seiner Seite.
Wenn es um die Zukunft eines Tänzers geht, dann zeigt sich, dass „der Mischa“ nicht nur der Kasperl ist. Nicht erst seit er sich dem Dreißiger nähert, macht er sich Gedanken, wie es weiter gehen soll. „Lange habe ich von einer eigenen Compagnie geträumt, aber das ist ohne Ressourcen nicht zu machen. Und Chefsein, das ist verdammt schwer. Da bin ich ja nicht deppert.“ Wenn er im Sommer zu Hause in Chisinau Urlaub macht, dann wird nicht gefaulenzt, sondern brav sein Studium für Kulturmanagement und Tanzpädagogik besucht. „Ich bin fast fertig. Ich trainiere schon die Kinder. Die ganz Kleinen, das ist besonders schwer.“ Zu seinem ungebremsten Bewegungsdrang kommt der Abscheu vor dem Nichtstun. „Ich flippe aus, wenn ich merke, dass ich Zeit vertrödle.“ An allem interessiert, ist er auch ein begabter Netzwerker. „Leute zusammen zu bringen, das interessiert mich auch.“ Als Puck bringt er unabsichtlich die falschen zusammen und die richtigen auseinander. Doch schließlich ist der „Sommernachtstraum“ eine Komödie, am Schluss hat jeder Topf seinen Deckel gefunden.
„Ein Sommernachtstraum“ Ballett in zwei Akten von Jorma Elo nach der Komödie von William Shakespeare zu Felix Mendelssohn-Bartholdys Schauspielmusik.
Premiere des Staatsballetts an der Volksoper am 16. 3. Folgevorstellungen: 19., 24.,3. 3., 14., 19., 21. 4.