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feinsinn auraKunst, kopiert, reproduziert, gecovert und remixt – nicht mehr einmalig? Ohne Aura? Nicht mehr echt? Eine Frage, die sich die Künstlerinnen und Künstler von FeinSinn in ihrer neuen Performance stellen. Um es gleichvorwegzunehmen, eine Antwort gibt „[A]ura“ nicht, die muss das geneigte Publikum selber finden, weil es auch selbst mitwirken darf und soll und auch nolens volens wird.

Aura – Ein mehrdeutiger Begriff. Ist sowohl finnischer Käse wie auch griechische Göttin; neurologische Störung, Asteroid und Hundename. Dann kam der Philosoph Walter Benjamin, gestand die Aura allen Dingen zu, verurteilte den „geleckten spiritualistischen Strahlenzauber“ der Spiritisten und bedauerte den Verfall der Aura eines Kunstwerks im „Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. In Film und in der Fotografie war ihm das „Hier und Jetzt“ und die „Einmaligkeit“ nicht mehr gegeben. Von den neuen Medien, von Cover Version, Remake, Remixe, oder dem mit dem Mausklick im Nu kopierten Kapiteln einer Doktorarbeiten hatte er noch keine Ahnung. Im Gegensatz zu FeinSinn.

Die Tänzerin / Choreografin Elke Pichler und der Musiker Alexander Nantschev, das Gründungsduo der Gruppe FeinSinn, wollen es wissen. Verkümmert tatsächlich die Aura eines Kunstwerks wenn es technisch reproduziert wird? In der vernetzten Welt von fremden Autoren hergestellte choreografische Werke werden zuerst technisch und danach vom Körper der Tänzerin reproduziert und zu einer Performance verarbeitet. Dabei arbeiten Pichler und Nantschev, mit ihrem Team genreübergreifend und haben keine Angst vor Literatur oder Philosophie und schon gar nicht vor den Neuen Medien. Mit diesen gestalten sie eine multimediale Tanzperformance, an der auch das Publikum seinen Anteil hat.

Der Computer als Lehrer einer neuen Tanzsprache. Schon Wochen vor der Premiere können sich Wagemutige an der Choreografie für die Solistin Elke Pichler beteiligen. Im Internet bietet ein eigens dafür entwickeltes Programm, der ChoreoMixer, kurze Videoclips mit den Bewegungen einer Tänzerin an. Aus diesen Bewegungsschnipsel, kann durch Kombination, Beschleunigung, Wiederholung und Schnitt eine Choreografie kreiert werden. Aus all diesen Kreationen werden die besten ausgewählt, Pichler kopiert sie in ihren Körper. „Das war nicht einfach“, sagt sie, „manche Bewegungen waren so schwierig auszuführen. Ich musste täglich lernen und probieren, um diese Originale zu einer neuen, eigenen Choreografie zu gestalten.“ Etwa 20 Tänzerinnen aus aller Welt haben mit dem ChoreoMixer gearbeitet. Die Bedienung ist tatsächlich babyleicht. Auch ein Fünfjähriger hat einen Teil von[A]ura gestaltet. „Ich habe einem meiner Geigenschüler die Technik erklärt. Am nächsten Tag hat er uns sein Opus geliefert“, erzählt Nantschev. Er unterstützt die Tänzerin nicht nur als Komponist und Musiker auf der Bühne, sondern greift auch als Dramaturg in das entstehende Werk ein. „Wir haben nicht nur Benjamin gelesen, auch mit dem kommunen Begriff von Aura haben wir uns befasst und die Daguerreotypien und Fotos mit Geister- und Aurabildern studiert. Heute kann man damit nicht mehr Furore machen, man weiß wie eine Doppelbelichtung entsteht, damals glaubte man tastsächlich, die ‚Energiekörper’ eines Menschen auf den Fotos zu sehen.“ feinsinn choreomixer

Mit dem Namen der Gruppe, „FeinSinn“ hat dieser sechste Sinn jedoch nichts zu tun: „Den haben wir sehr bewusst gewählt, wohl wissend, dass er nicht hipp oder cool ist. Wir wollten zeigen, dass wir nicht auf der Zeitgeistwelle schwimmen.“ Das ist auch gelungen. FeinSinn hat vor zehn Jahren mit Aufführungen für Kinder und Jugendliche begonnen: „Das hat uns Freude gemacht und war auch erfolgreich, doch bald haben wir erkannt, dass das, was mitteilen wollen, eher für Erwachsene geeignet ist.“ Der Erfolg ist ebenso erhalten geblieben wie die lobenden Kritiken. FeinSinn steht nicht nur für Nachdenklichkeit und Recherche sondern auch für Genauigkeit beim Arbeiten und zuletzt für eine offene Kommunikation mit dem Publikum. Auch wenn Pichler zusätzlich Philosophie studiert hat und Nantschev als Komponist und Lehrer arbeitet, wollen sie nicht dozieren sondern feinsinnig unterhalten.

Das Publikum choreografiert – Elke tanzt. Gemütliches Zurücklehnen und die [A]ura genießen, ist allerdings nicht möglich. Erstens wird es keine Sitzplätze geben und zweitens, ist Mitwirkung erwünscht. Die Interaktion im Vorfeld war dem Team noch zu wenig, auch die Performance selbst ist interaktiv geplant. Die Zuschauerinnen stehen, aber nicht als Säulenheilige, sondern als Peripatetiker – sie sollen umher- und herumgehen und so den Ablauf der Tanzvorstellung steuern. Willentlich oder zufällig. So wird es auch an jedem Abend, eine andere Vorführung geben, je nachdem wie sich der Schwarm bewegt. „Das wird schwierig, nicht nur für das Publikum auch für mich ist jeder Abend eine Überraschung. Ich muss mich immer neu einstellen.“ Das Arbeiten mit dem Computer hat auch Pichlers Tanzsprache neu geordnet, digitalisiert quasi. Sie bewegt sich im binären System: 0 + 1. „Ich habe viel Geduld benötigt um die Bewegungen zu lernen, wir haben die eingereichten Choreografien auch rückwärts laufen lassen und mussten feststellen, dass auch der Computer begrenzt ist. Große Bewegungen quer durch den Raum etwa erfasst er nicht.“ Elke Pichler gesteht, dass sie „kurz geraunzt“ hat, dann aber hat sie „in den sauren Apfel gebissen und den Widerstand gegen die neuen Kombinationen überwunden“. Dem Publikum wird der Eigensinn von FeinSinn nicht auffallen: „Es schaut simpler aus als es ist.“ Und die Aura? Die Antwort kommt unisono: „Die ist da, völlig anders, mit Staunen und Überraschen. “

FeinSinn: „[A]ura“ WYSIWYG - What You See Is What You Get?. Eine Performance-Galerie mit Open-Source-Choreografie. Uraufführung: 13.2., Weitere Aufführungen: 14., 15. Februar 2014. KosmosTheater.

Der ursprüngliche Artikel ist am 31. Jänner 2014 im Schaufenster der Tageszeitung "Die Presse" erschienen.