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GeschlSpiele1Ursprünglich war die Live Premiere von Demis Volpis erstem Handlungsballett für das Ballett am Rhein bereits für Dezember 2020 geplant. Nun da sich landesweit die Theatertüren wieder öffnen, konnte die Uraufführung von “Geschlossene Spiele” am Opernhaus in Düsseldorf endlich stattfinden. Der in Argentinien geborene Ballettdirektor und Chefchoreograph des Balletts am Rhein, Demis Volpis, bringt ein ebenso skurriles wie phantastisch-surreales Tanztheater auf die Bühne. 

Seine Inszenierung basiert auf einem Schauspiel des argentinischen Schriftstellers Julio Cortázar und reflektiert die Zeit der Militärdiktatur in Argentinien. Die absurden und zunehmend bedrohlicher werdenden Situationen, in denen sich die Personen in Volpis choreografischer Umsetzung begegnen, motivieren ebenso tiefgründig wie unterhaltsam, sich mit den ewig aktuellen Fragen über Macht, Gehorsam, Gerechtigkeit und Unrecht auseinanderzusetzen.

Sie haben im Sommer 2020 als Ballettdirektor und Chefchoreograph des Ballett am Rhein die Nachfolge von Martin Schläpfer angetreten. Wie haben Sie die pandemiebedingten Beschränkungen erlebt und was konnten Sie unter den erschwerten Bedingungen umsetzen? 

Die Schwierigkeiten waren besonders groß, weil ich während dieser Zeit eine neue Compagnie formen musste. Es kamen Menschen zu uns, die vorher noch nie in Deutschland gewesen waren und plötzlich hier unter Lockdown-Bedingungen isoliert leben und arbeiten mussten. So ein neues Team zusammenzufügen ist auf Distanz eigentlich nicht möglich. Als klar wurde, dass wir uns in einer Pandemie befinden, erschien es mir damals als der logischste Schritt, dass wir von den ungünstigsten Proben- und Aufführungsbedingungen ausgehen mussten, vor allem, da wir zu diesem Zeitpunkt noch so wenig über dieses Virus wussten. Zuerst hatten wir die Aufgabe, unsere neuen Tänzer*innen nach Düsseldorf zu bekommen. Die Ausreise aus manchen Ländern war extrem schwierig zu organisieren, sodass einige neue Teammitglieder erst mit erheblicher Verspätung bei uns eintrafen. Es bedeutete auch, während dieser Zeit regelmäßigen Kontakt mit diesen Tänzer*innen aufrecht zu erhalten. 

Wie haben Sie den Probenbetrieb für das Ensemble in dieser Zeit organisiert? 

Viele Compagnien hatten inzwischen begonnen, ihr Balletttraining für die Tänzer*innen per Zoom zu übertragen. Als ich merkte, was diese mangelnde persönliche Präsenz für eine Beschränkung für uns bedeutete, entschied ich, alles zu unternehmen, dass wir das Training nicht über Zoom abhalten mussten. So haben die Ballettmeister*innen in der letzten Spielzeit in Kleingruppen über 700 Trainingseinheiten abgehalten. Unsere Pianisten hatten zwar fast Krämpfe in den Händen vom Spielen, aber wir haben es geschafft. Wir waren die ganze Spielzeit jeden Tag im Balletthaus. Wir haben das große Glück, den dafür notwendigen Raum zu haben. Es gibt fünf Ballettsäle im Balletthaus in Düsseldorf, und wir haben Garderoben für das Ensemble, die eine ausreichende Größe haben. Und natürlich braucht man ein hochmotiviertes Team, das bereit ist, sich dieser besonderen Aufgabe zu stellen. Sowohl die Ballettmeister*innen als auch die Pianisten haben jeden Tag in der ersten Reihe gestanden und gekämpft, damit alles läuft. Genauso die Dramaturg*innen, die sich gemeinsam mit mir den Kopf zerbrochen haben, wie wir ein Repertoire aus dem zusammenstellen können, was wir bis dahin hatten. Bis hin zur Personalabteilung, die sich um die Einreisen gekümmert hat und schier Unmögliches möglich gemacht hat. Das alles hat mich schon sehr beeindruckt. HFGeschlSpiele

Sie bringen nun eine Adaption eines 1983 uraufgeführten Schauspiels des argentinischen Autors Julio Cortázar mit dem Titel „Geschlossene Spiele" auf die Bühne. Der Titel, den sie verwenden, entspricht allerdings nicht dem Originaltitel des Theaterstückes. 

Der Originaltitel ist „Nada a Pehuajó“, was so viel heißt wie „Nichts mehr nach Pehuajó". In der im Suhrkamp Verlag erschienenen deutschen Übersetzung wurde dann aus „Pehuajó“ „Calingasta“. Vielleicht weil das im Deutschen leichter auszusprechen war. Unser Stück spielt in einem Café in Buenos Aires und jede Figur sitzt an ihrem Tisch. Das war etwas, was natürlich sehr gut zu den plötzlich herrschenden Hygienebestimmungen und den daraus resultierenden Abständen passte, die die Tänzer*innen auf der Bühne einzuhalten hatten. Die formale Komponente stimmte also, aber vor allem hat uns das Stück inhaltlich sehr interessiert. Die Sprache, mit der Cortázar umgeht, ist sehr virtuos. Jede Figur im Stück hat ihre eigene Sprache, ihren eigenen Dialekt und eine eigene Art zu reden, und das lässt sich sehr gut in Tanz umsetzen.

In „Nada a Pehuajó" entgleiten die Situationen, in denen sich die Protagonisten begegnen stets ins Absurde und Surreale und scheinen sich jedem Versuch einer konkreten Einordnung und Deutung zu entziehen. Das Stück wird als Handlungsballett angekündigt, das schürt natürlich eine gewisse Erwartungshaltung beim Publikum. 

HFGeschlSpiele heEs ist tatsächlich ein Handlungsballett ohne Handlung, und es ist auch ein Schauspiel. Es werden Fragen gestellt, über die Verantwortung einer Gesellschaft und wie Individuen im Kollektiv einer Gesellschaft zueinander stehen – wer über wen entscheiden kann, darf oder sollte und wie weit die Macht eines Einzelnen über das Schicksal eines anderen gehen darf oder auch gehen muss. Es ist ein Stück, das hoffentlich zu Diskussionen und zum Austausch animiert. Da natürlich eine gewisse Absurdität in der Sprache steckt, erschließt es sich vielleicht nicht ganz so leicht im klassischen Sinne auf eine chronologische Art und Weise. Das Stück ist sehr stark von einer Simultanität geprägt, die es manchmal herausfordernd macht, dem zu folgen, was da auf der Bühne passiert. 

Bitte erzählen Sie uns in ein paar Sätzen etwas über die Charaktere, denen wir im Stück begegnen. 

Da ist zum Beispiel die Dame in Grün. Sie scheint Dinge zu wissen, die andere Personen im Stück nicht wissen. Die Dame in Grün ist eine Figur, die man irgendwie lieb haben will und gleichzeitig spürt man, dass sie eine bestimmte Art von Macht haben könnte. Keine der Figuren im Stück ist eindeutig oder ohne Widerspruch. 

Was lässt sich über den Richter sagen? 

Der Richter und Miriam. Der Richter begegnet dieser Frau, und sie scheint ihn zu kennen, aber er kann sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Sie sagt ihm immer wieder, dass sie Miriam heißt, aber er sucht nur die ganze Zeit verzweifelt in seinen Akten nach der Nummer, die ihr Gerichtsfall hatte. Es zeigt, wie jemand, in dessen System sich hinter allen Entscheidungen, die täglich getroffen werden müssen, eine gewisse Bürokratie und Sachlichkeit verbirgt, plötzlich den Sinn dafür verliert, dass da immer auch ein Mensch hinter den Nummern steht. 

Dann ist da die im farbenfrohen Country Style gekleidete Dame. 

Das ist die amerikanische Touristin. Sie ist genauso gekleidet, wie ein Argentinier sich zu dieser Zeit eine Amerikanerin vorstellte oder wie Amerikaner*innen in Argentinien damals wahrgenommen wurden. Sie kommentiert vor allem die ganze Zeit und ist irgendwie laut und präsent. 

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Orazio di Bella

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Eric White

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Norma Magalhaes und Niklas Jendrics

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Simone Messmer

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Orazio di Bella, Edvin Somai

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Rubén Cabaleiro Campo, Niklas Jendrics, Evan L'Hirondelle, Simone Messmer

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Orazio di Bella, Tommaso Calcia

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Simone Messner

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Niklas Jendrics

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Orazio di Bella und Rubén Cabaleiro Campo (vorne)

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Rubén Cabaleiro Campo, James Nix, Niklas Jendrics, Emilia Peredo Aguirre

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Ballett am Rhein "Geschlossene Spiele" Eric White, Rubén Cabaleiro Campo, Simone Messmer, James Nix, Emilia Peredo Aguirre, Niklas Jendrics, Tommaso Calcia, Dukin Seo

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Was hat es mit dem Mann im weißen Anzug auf sich? 

Der Mann in Weiß spielt die ganze Zeit Schach mit einer Pfeffermühle, und man hat das Gefühl, dass die anderen Personen im Café darauf reagieren, als würden sie davon gesteuert werden. Sie scheinen ihn aber nicht wahrzunehmen. Viel mehr wissen wir auch nicht über ihn. Im Theaterstück besteht sein ganzer Text aus einem einzigen Wort - „Schachmatt“. 

Welche Funktion haben die beiden Kellner in der Geschichte? 

Ich denke, dass sie dafür da sind, uns eine gewisse Hierarchie aufzuzeigen. Der Gast bestellt, es wird geliefert. Sie scheinen auch irgendwie mehr zu wissen als sie preisgeben. Man hat ständig das Gefühl, sie könnten einen auch jederzeit mit einem Kaffee vergiften. Und trotzdem würden sie den Kaffee genauso bringen, wie man ihn bestellt hat.

Was hat es mit der Hand, die oben aus einer Tür herauskommt, auf sich? 

Über der Küchentür ist ein etwas zu hoch positionierter Speiseaufzug. Aus ihm sieht man immer eine Hand herausschauen, die auf bestimmte Dinge hinweist. Später erscheint dort eine Fahne und am Schluss ist es Carlos Fleta, der Mann, der hingerichtet wird. Darüber wird im Radio während des Stücks immer wieder berichtet. Der Richter bekommt es immer mehr mit der Angst zu tun, weil er vielleicht auch ein schlechtes Gewissen hat. Wir wissen es nicht genau. Aber am Schluss steht dann dieser Mann, den er zum Tode verurteilt hatte, plötzlich vor ihm. Er wurde nicht hingerichtet. Was bleibt, ist die große Frage: Was wäre, wenn der Spieß plötzlich umgedreht würde? 

00Portrait DemisVolpiDemis Volpi 

Seit Beginn der Spielzeit 2020/21 ist Demis Volpi Ballettdirektor und Chefchoreograph des Ballett am Rhein. Der Deutsch-Argentinier erhielt seine Tanzausbildung in Buenos Aires, an Canada‘s National Ballet School in Toronto und an der John Cranko Schule in Stuttgart. Anschließend tanzte er im Corps de Ballet des Stuttgarter Balletts. 2013 wurde er nach seinem erfolgreichen ersten Handlungsballett „Krabat“ zum Hauschoreographen in Stuttgart ernannt. Demis Volpi schuf sowohl narrative als auch abstrakte Arbeiten unter anderem für das American Ballet Theatre, das Ballet de Santiago de Chile, das Ballet Nacional del Sodre in Uruguay, das Lettische Nationalballett, das Ballett Dortmund, die Compañia Nacional de Danza de México und das Ballet Vlaanderen. Seit 2014 arbeitet Volpi auch als Opernregisseur. Er inszenierte 2017 Benjamin Brittens „Tod in Venedig“, eine Koproduktion der Staatsoper Stuttgart, des Stuttgarter Balletts und der John Cranko Schule. 2011 wurde Demis Volpi mit dem Erik Bruhn Preis, 2012 mit dem Chilenischen Preis des Kunst-Kritikerkreises und 2014 mit dem Deutschen Tanzpreis Zukunft ausgezeichnet. 2017 wurde er für sein abendfüllendes Ballett „Salome“ für den Prix Benois de la Danse nominiert und nach seiner erfolgreichen Premiere von „Tod in Venedig“ in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift Opernwelt zum Nachwuchskünstler des Jahres 2017 ernannt. 2019 wurden seine Arbeit und Leistungen als Choreograph der letzten zehn Jahre bei der Konex Award Preisverleihung in Buenos Aires mit dem Merit Diploma der Stiftung ausgezeichnet. In der Spielzeit 2021/22 erstreckt sich seine Arbeit als Chefchoreograph des Ballett am Rhein von seiner Interpretation der Oper „Herzog Blaubarts Burg“ von Béla Bartók über die Handlungsballette „Geschlossene Spiele“ und „Der Nussknacker“, bis hin zu abstrakten Arbeiten wie in „One and others“. Quelle: www.operamrhein.de

Ballett am Rhein: "Geschlossene Spiele", Premiere am 1. Oktober im Opernhaus DüsseldorfDie nächsten geplanten Vorstellungen: 4., 5., 26. November, 20., 28., Dezember, 22., 24. Juni 2022; 14., 15. Jänner im Forum Ludwigsburg, 17., 18. Juni im Theater im Pfalzbau

Alle Fotos: Ingo Schäfer / https://ingoschaeferphotography.de/

 

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