In Rudolf Nurejews Fassung hält der lange vermisste „Nussknacker“ wieder Einzug in die Wiener Staatsoper. Ballettchef Manuel Legris wollte mit der Premiere des unter dem Christbaum spielenden Balletts schon im Herbst einen Glanzpunkt setzen. Das ist trotz der bravourösen Leistung von Ljudmila Konovalova mit Vladimir Shishov und einer opulenten Ausstattung nicht so richtig gelungen.
Prächtiger Bilderbogen. Vielleicht hat sich der Ballettdirektor doch zu viel vorgenommen und sein großartiges Ensemble etwas überschätzt. Der Knalleffekt, den er mit dem üblicherweise zur Weihnachtszeit getanzten Ballett setzen wollte, verpuffte im glitzernden und auch niedlichen Bilderreigen. Vielleicht ist auch Nurejews Version der Geschichte von der heranwachsenden Clara, für die sich der vom Onkel Drosselmeyer geschenkte Nussknacker im Traum zum Prinzen wandelt, kein Märchen, das so einfach zu erzählen ist. Was da an Interpretationen seit der Uraufführung 1967 durch das königlich schwedische Ballett (die endgültige und in Wien gezeigte Inszenierung hat Nurejew 1985 mit dem Ballett der Pariser Oper einstudiert) an Psychologie und Metaphorik hinein geheimnist worden ist, kann man bestenfalls bei E. T. A. Hoffmann nachlesen, zu sehen ist davon nichts. Auch dass der Onkel Drosselmeyer zugleich der Prinz ist, der – wunderschön – tatsächlich in goldglänzend auf dem Schimmel daher reitet, ist ohne Programmheft nicht zu erkennen. Zu sehen sind hingegen fabelhafte Kostüme, eine helle, leichte Ausstattung (Nicholas Georgiadis) und hervorragende solistische Leistungen ganz in der russischen Balletttradition. Nurejew nahm die Fassung Wassili Wainonens – 1934 für das Kirow-Ballett geschaffen –, in der er seinen ersten Nussknacker-Prinzen getanzt hatte, als Ausgangspunkt für seine Version. Der Fokus liegt weniger auf der märchenhaften Geschichte als auf den tänzerischen Bravourleistungen. Auch wenn Clara Gespenster sieht und vom Märchenprinzen träumt, so stehen doch Pas de deux, Grand Pas und vor allem auch der Einsatz des Corps de Ballet im Vordergrund. Bravourleistungen allein, perfekt oder noch verbesserungswürdig, machen jedoch keine ans Herz rührende Geschichte. Man staunt, bleibt aber unberührt.
Sei’s drum. Zum Entzücken entrollt sich der erste Akt. Die SchülerInnen der Staatsopern-Ballettschule sind putzig und perfekt. Nicht nur der winzige Trommler erfreut, auch die Reiter auf ihren Steckenpferden, die Mädchen mit den Puppen und die kämpferischen Husaren. Zwischen ihnen tummeln sich die Geschwister Fritz (Davide Dato) und Clara (Konovalova) samt der Schwester Luisa (Emilia Baranowicz). Im Puppenspiel von Drosselmeyer werden sie lebendig. Allerliebst. Sogar die Ratten treten in geordneten Reihen auf. Sie sind tatsächlich zum Fürchten, doch nur ein Traum von Clara. Oder, wenn man so will, die Manifestierung ihrer Ängste. Ob Ratten samt eindrucksvollem König oder Kleinmädchenängste, das Böse muss weichen. Der hölzerne Nussknacker wird Fleisch. Der Prinz als Retter. Und dann fallen die Flocken. Doch im Getriebe der Aufführung knirscht eher der Sand, passieren faux pas, wird aus der Reihe getanzt, sodass choreografische Linien verschwimmen, werden Füße verwechselt und Arme zu spät gehoben. Schwamm drüber: Der Nussknacker ist ein Weihnachtsballett und bis dahin ist aus dem Debüt für sämtliche Mitwirkende mühelose Geläufigkeit geworden. Das Zittern und Zagen ist überwunden.
Auch wenn der Funke noch nicht übergesprungen ist (Manuel Legris durfte sich schon unter weit lauterem Getöse und heftigeren Jubelrufen verbeugen), so gibt es doch jede Menge Lunten die bereits gelegt sind und glosen. Paul Connelly dirigierte animiert das Staatsopernorchester, das deutlich machte, wie wohl sich die Herren und Damen mit Tschaikowskys Musik fühlen.
„Der Nussknacker“, Premiere in der Wiener Staatsoper, 7. Oktober 2012