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castellucci mosesKein wichtiges Festival ohne den Regisseur, Autor, Bühnen- und Kostümbildner Romeo Castellucci. Auch nicht die Wiener Festwochen, die Castelluccis jüngstes Drama, „Go down, Moses“, uraufgeführt 2014 in Lausanne, im Theater an der Wien zeigen. Ein Stationenspektakel in Bildern mit wenigen Worten. Eine pathetische Absage an die Zivilisation.

Acht Personen, in Kleidung aus den Sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, stehen im Museum, palavern und betrachten so nebenbei Dürers Hasen. Sie verschwinden im Dunkel der Hinterbühne, vorne erscheint eine riesige Walze, die unter grässlichem Lärm von der Decke schwebende Skalpe verarbeitet. Die Gottesmaschine? Wohlfühltheater ist das keines, das Castellucci hier mit Referenz auf den Propheten Moses, in Tableaus zeigt. Der penetrante Lärm von tappenden, stolpernden Schritten, das Dröhnen , surrender, krachender, dröhnender Maschinenlärm machen nachdenkliche Beschaulichkeit unmöglich.

Die Bilder, die Castellucci zeigt, sind irritierend, verstörend, provozierend. Nach dem Museumsbesuch – eine Absage an Kunst und Kultur? – wälzt sich eine Frau in ihrem Blut, sie hat nicht mehr die Kraft, Hilfe zu holen. Im nächsten Bild steht ein Müllcontainer auf der leeren Bühne, aus ihm dringt Babywimmern. Dann erfahren wir durch ein paar Textzeilen, dass die Frau von der Polizei aufgegriffen worden ist und wir sehen sie in der Wachstube, wo sich der Kommissar bemüht, zu erfahren wo sie das Kind weggeworfen hat. Sie sagt es nicht, fällt aber als Weissagende ein vernichtendes Urteil über die verrottete Welt. Ein neuer Gott sei nötig. Ihr Kind habe sie ausgesetzt, damit er die Menschen von der Sklaverei befreie, sie der Freiheit zuführe, die Welt rette. Der Kommissar gibt auf, die Frau wird in die MRT-Apparatur geschoben, ihr Gehirn wird gescannt.Sie bekommt Kopfhörer, das Publikum das durchdringende Arbeitsgeräusch des Gerätes.

Den Titel der Szenenfolge hat der Autor übrigens einem Negro-Spiritual geborgt, das von Moses erzählt, dem der alttestamentarische Gott befiehlt die Israeliten aus der ägyptischen Knechtschaft zu befreien und dem Pharao seine Botschaft auszurichten: „Oh! Let my people go.“ Bei Castellucci bleibt Moses unsichtbar. Der Erlöser spielt nicht mit. Es geht aber Castellucci offensichtlich nicht um eine nacherzählbare Geschichte, sondern um eine assoziative Bilderfolge, die mit einem Sprung abrupt in graue Vorzeit führt. In einer riesigen Höhle wanken Urmenschen (mit Affenmasken) in fahlem Licht umher, ein Kind stirbt und muss begraben werden, der Liebesakt soll Trost bringen. Tut es nicht, denn die Frau klatscht unter Getöse ihre blutigen Hände gegen die transparente Wand, malt schließlich den Notruf SOS darauf. Das Getöse wandelt sich zum Choral.
Der Scanner spuckt die Frau wieder aus, sie kuschelt sich in die nun verlassene Höhle. Die Maschine fährt zurück, verglüht mit silbrigem Schein. Kindsmord und Koitus, Tinnitus und Thanatos, Predigt und Pathos, Kitsch und Konstruktion in knapp 80 Minuten. Weder Betroffenheit noch Erschütterung, doch Verwirrung und Verwunderung. Die Bilder lassen mich kalt, kein Abdruck im Gehirn, kein Grummeln im Bauch, ich vermisse Unmittelbarkeit und Authentizität, bleibe unbeteiligte Zuschauerin.
In der nächsten Saison zieht die Moses-Show nach Australien, Kanada und Amerika.

Romeo Castellucci / Socìetas Raffaello Sánzio: „ Go down, Moses“, Premiere im Rahmen der Wiener Festwochen am 28. Mai 2015, Theater an der Wien.
Weitere Vorstellungen: 28., 29., 30. Mai 2015.

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