„Marie Antoinette“, das Historienballett von Patrick de Bana wurde an der Wiener Volksoper wieder aufgenommen. Es hat dabei eine gründliche Überarbeitung erfahren: Der Kreis der handelnden Personen wurde verkleinert, die Profile der Charaktere wurden geschärft und die Gruppenszenen kommen nun mit einer überaus prägnanten Dynamik über die Rampe. „Marie Antoinette“ hat sich durch diese Änderungen in ein anregendes und kurzweiliges Ballett verwandelt.
In dieser Version ist auch der Erzählstrang viel klarer als zuvor, auch wenn „Marie Antoinette“ kein traditionelles Handlungsballett ist. Zwar hält de Bana die chronologische Reihenfolge von der Vermählung Marie-Antoinettes (Olga Esina), der Tochter Maria Theresias, mit Louis XVI, dem Dauphin und späteren König von Frankreich, bis zu deren Tod am Schafott ein, doch konzentriert er sich nach wie vor auf die Gefühlsebene der Königin. Diese wird durch ihren Schatten (Alice Firenze) und das Schicksal (Andrey Kaydanovskiy) verdreifacht. Auch Maria Theresia (Rebecca Horner im Pas de deux mit Attila Bakó, einem „Namenlosen“) spiegelt die seelischen Turbulenzen der Tochter wieder. Wenn Marie Antoinette durch ihre Affäre mit Axel von Fersen (Leonardo Basilio) noch heitere Unbekümmertheit an den Tag legt und die Eifersucht ihres Gatten zu besänftigen weiß, wird sie sich bald der Ernst der Lage bewusst, stellt sich ganz auf die Seite ihre Mannes und wird ihn schließlich in den Tod begleiten. Auch die getreue Schwester und Schwägerin, Madame Elisabeth (Ketevan Papava), wird ihnen folgen.
Marie Antoinette und Elisabeth tanzen nun auf Spitze und heben sich dadurch von den anderen Charakteren ab. Als Gefangene wird die Königin als Zeichen ihres Rangverlustes die Spitzenschuhe ausziehen und abgeben. Der französische König ist bei de Bana ein eher unsicherer und eifersüchtiger, aber auch gutmütiger und angesichts des Todes ein liebevoll tröstender Mann.
Olga Esina überzeugte als Marie-Antoinette an diesem Abend durch emotionale Ausdrucksstärke, die ihr Todesurteil mit ungläubiger Verwirrung aufnimmt. Das „Schicksal“ in der großartigen Interpretation von Andrey Kaydanovskiy ist in seinem Auftreten gleichzeitig neutral, fordernd und mitfühlend. Jakob Feyferlik tanzt wunderbar, kann aber seine Jugend in der Rolle des Königs nicht kaschieren. Da hat es Leonardo Basilio als der glühende Liebhaber Axel von Fersen leichter.
Das Lob dieses Abends gilt aber auch den übrigen Rollen und vor allem dem Corps de ballet. Patrick de Banas choreografisches Talent zeigt sich in den Gruppenszenen, etwa in bei der Hochzeit oder dem Tanz der Revolutionäre. Das rockt.
Die musikalische Dramaturgie oszilliert zwischen Kompositionen aus der Zeit Louis XVI für die Handlungsszenen und den bedrohlich grollenden Kompositionen von Carlos Pino-Quintana für die Auftritte des Schattens und des Schicksals. So manifestiert sich im heiteren Melodienreigen von Teleman, Vivaldi, Mozart, Rameau, Rebel und (Johann Christian) Bach akustisch die düstere Vorahnung und das bittere Ende der Königin.
Bei der prachtvollen und geschmackvollen Ausstattung, die das Erscheinungsbild dieses Balletts prägen, sah de Bana zu Recht keinen Grund für Veränderungen. Unangetastet blieben die bezaubernden Kostüme von Agnès Letestu: die variationsreichen Trikots mit Tutus in Grau-Schattierungen für den österreichischen Hof, bunt und erotisch verhüllend-enthüllend für den französischen Court, im Gegensatz zu den nüchternen schwarzen Anzügen der Revolutionäre. Opulent das Bühnenbild von Marcelo Pacheco und Alberto Estaban mit den meterlang von der Decke bis zum Boden hängenden glitzernden Swarovski-Kronleuchtern.
„Less is more“, war der choreografische Leitsatz für Patrick de Bana bei dieser Überarbeitung. Das Publikum stimmte dem mit begeistertem Applaus zu. Nur schade, dass es in der nächsten Saison nicht auf dem Spielplan der Volksoper steht. Bis Saisonende ist es jedoch noch sechsmal zu erleben.
Wiener Staatsballett: „Marie Antoinette“, Wiederaufnahme und Neufassung am 6. Mai an der Volksoper Wien. Weitere Vorstellungen am 9., 17., 23. Mai, 16., 21. und 27. Juni 2016