Nach der Preview „War and Terror“ hat das Künstlerkollektiv Superamas die einzelnen Versatzstücke nun zu einer 75-minütigen Performance verknüpft. Wir schreiben das Jahr 2020. Der Titel „Vive l’Armée!“ wird einer Modekollektion von Jean-Paul Gaultier zugeschrieben. Terroristen sind Aktivisten, die gegen die Beschneidung der Bürgerrechte unter dem Regime von „Madam President“ revoltieren.
Das Defilée mit Militäraccessoires ist in vollem Gange. Jean Paul Gaultier ist nun Designer des LVMH-Konzerns und wird von diesem gefeiert, als zwei der Models mit gezückten Pistolen die Gruppe als Geiseln nimmt. Diese Bühnen-Rahmenhandlung ist eine Ebene in einer Collage, die die Gewalt des Terrors mit Eindrücken zum 1. Weltkrieg verbindet. Sei es durch den Historiker Jacques Pauwels, der in einem Video über die sozialen Unterschiede in der Militärhierarchie redet. Sei es durch Szenen aus dem Schützengraben in Stanley Kubricks „Path of Glory“. Sei es durch den Film im Rahmen eines Schulprojektes, bei dem Jugendliche Soldaten auf dem Schlachtfeld der Somme verkörpern.
Auf der Bühne hingegen ein Krisenzentrum, in dem die Pros und Contras militärischer Intervention zur Befreiung der Geiseln debattiert werden. Die „Terroristen“ sind zwar (mit einer Theaterpistole ausgestattete) Aktivisten, doch die Hardliner siegen, stürmen das Gebäude und erschießen die Anführerin. Das Ende kommt mit einer gehörigen Portion Pathos daher, wenn sich sich der Nebel auf der Bühne verdichtet. Eine einsame Frau singt Ginger Dellenbaughs elegischen Song „A Piece of Sky“, während sich die Nebelschwaden langsam lichten.
Auch diesmal gelingt es Superamas die verschiedenen Handlungsstränge und Medien in einer schlüssigen Dramaturgie miteinander zu verbinden. Zwar klingen und agieren die französischen Soldaten hier alle wie waschechte US GIs; zwar hätte man auf die Propagandarede der „Madam President“, die altbekannte Positionen des Front National eins zu eins wiederholt, verzichten können; zwar hätte die Modenschau am Anfang auch kürzer ausfallen können. Besonders eindrucksvoll war hingegen die Arbeit mit Jugendlichen aus Amiens. Auf die Frage nach dem Auslöser des 1. Weltkriegs drucksen die Teenager zwar noch immer verlegen herum, doch ihr Fokus in den Filmszenen lässt darauf schließen, dass sie durch dieses Projekt eine Erfahrung gemacht haben, die über das Faktenwissen hinausgeht und einen emotionalen Imprint hinterlässt. (So könnte die Schule der Zukunft aussehen, wenn man, wie in Finnland demnächst, den Fächerkanon abschafft. Doch freilich, unter einer Präsidentschaft des Front National, wie sie Superamas vorhersehen, würden derartige Reformen in Frankreich wohl nicht einmal angedacht werden.)
Superamas: „Vive l’Armée!“ am 24. November 2016 im Tanzquartier Wien. Weiter Vorstellungen am 25. und 26. November